Dachbegrünung

Hundertwasser

Dachbegrünungen sind die Dachbedeckungen der Zukunft. Einen Wald auf dem Dach zu haben oder eine wilde Wiese oder einen Gemüsegarten wird selbstverständlich sein.

Man wird sich schwer vorstellen können, daß es einmal eine Zeit gab, wo die Dächer tot waren, ohne Leben und ohne Vegetation.

Es ist selbstverständlich, daß im Zuge eines Friedens mit der Natur der Natur Territorien zurückgegeben werden müssen, die wir ihr widerrechtlich weggenommen haben. Eines dieser widerrechtlich angeeigneten Territorien sind die Dächer, d.h. die unberührten Flächen, die wir zerstört haben; dadurch, daß wir bauen, müssen wir diese zerstörten Territorien auf den Dächern zurückerstatten.

Doch Achtung, es muß die unberührte Natur sein, der wir wieder zu ihrem Recht verhelfen. Da wir, wenn wir einen Friedensvertrag mit der Natur schließen, es mit einem unabhängigen, freien Gesprächspartner tun müssen, nicht mit einem unterworfenen Sklaven. Die geknebelte, entrechtete, monokultivierte, begradigte, vergiftete und hochgepäppelte Natur kann kein ebenbürtiger Gesprächspartner des Menschen sein.

Es entsteht eine Umkehrung. Das bisher als richtig Angenommene, die Unterwerfung der Natur, hat sich nicht nur als falsch, sondern als todesgefährlich für den Menschen selbst erwiesen. Die gerade Linie und deren Gebilde erzeugen Krebsformationen, nicht nur architektonisch, sondern auch medizinisch.

Die Du-Beziehung zur Natur muß wieder hergestellt werden. Diese Du-Beziehung zur Natur ist jetzt von ungleich größerer Bedeutung als die zwischenmenschlichen Beziehungen und diese ist ungemein vielschichtig.

Es handelt sich nicht nur darum, daß Pflanzen uns ernähren und uns weltweit das Leben ermöglichen, z.B. durch den Sauerstoff, den wir atmen, und das reine Wasser, das wir trinken, lernen wir durch die Natur das Wesen der Schöpfung, das Wesen der Kreativität kennen.
Ich als Künstler bin mir immer mehr bewußt, daß die Kreativität der Natur und die Kreativität des Menschen wieder vereinigt werden müssen, wenn wir alle als Ebenbild Gottes auf dieser Erde überleben wollen. In den Städten und leider jetzt sogar auf dem Lande haben wir uns von der wahren Natur derartig entfernt, daß wir in Gefahr geraten,  unsere Existenz aufzugeben. Besonders in Stadtwüsten sind Dachbewaldungen unbedingte Pflicht.

Wir lebten zu lange nach der Maxime: Machen wir uns die Natur untertan. Jetzt ist es an der Zeit, daß wir diesen Irrweg rückgängig machen, dadurch, daß wir uns unter die Natur begeben, d.h. die Natur über uns haben, unberührte Natur, statt Natur niederzuwalzen und zu zerstören.

Die Technologien für Gras, Wald, Garten und Bäume auf dem Haus sind derartig fortgeschritten, daß es keine Entschuldigung mehr gibt, kein Grasdach zu haben.
Wer keinen Zugang zum Dach hat, kann sein Fenster begrünen und einen Baummieter einquartieren, das ist ein Baum, der aus dem Fenster wächst.

Ich habe in Neuseeland und in Wien in der Löwengasse Gras- und Walddächer vorgeführt, die ein voller Erfolg sind. In der Löwengasse in Wien sind 900 Tonnen Erde auf 13 verschachtelte Dächer aufgetragen und 250 Bäume und Büsche gepflanzt worden. Aus der Vogelperspektive ist das Haus ganz grün. Es ist sogar mehr, als die totale Grundstücksfläche beträgt, begrünt, da die Bepflanzung auch in verdachte Geschoße hineinreicht und 5 Baummieter zusätzlich Grünflächen ergeben.

Eine Dachbegrünung ist eine unglaublich positive Sache. Sie bringt Vorteile, Freude und Wohlbefinden, nicht nur denen, die so ein Grasdach benützen (Man bedenke: ein Stück Wiese und Wald mitten in der Stadt), sondern auch denen, die unter so einem Stück Natur wohnen:
ein unbeschreibliches Gefühl angenehmer Wärme und Kühlung zugleich, ein Gefühl der Sicherheit gegen FALL OUT und radioaktive Strahlungen und ein Geruch wie etwa in einem Walde, jedoch ohne Feuchtigkeit.

Dann bringt das Grasdach auch denjenigen ebenso große Vorteile, die es weder benützen noch darunter wohnen, denen, die sich an seinem Anblick erfreuen, den Passanten, den Bewohnern der umliegenden Häuser, die anstatt auf öde Dächer und kahle Häuser auf lebendige Waldstücke blicken, mit all den Wundern der sich durch die Jahreszeiten mit Blättern, Blüten und Düften wandelnden Natur. Ferner haben die, die gar nicht im Grashaus wohnen, die Vorteile der Staub- und Lärmverminderung, einer besseren Atemluft und eines besseren Klimas.

Um zu begreifen, wie positiv sich ein Grasdach auf die Psyche und das Wohlbefinden auswirkt, muß man einmal unter einem Grasdach geschlafen haben. Es ist ein völlig anderes Gefühl der Befreiung und der Geborgenheit und vieles andere Unaussprechliche mehr.
Wenn ein Grasdach gut gemacht ist, erspart man sich auf mindestens ein bis zwei Generationen jede Dachdeckerarbeit und Dachreparatur. Man hat das gute Gefühl, seine Pflicht erfüllt zu haben und mit der Natur in Frieden zu leben, und man gibt ein gutes Beispiel.

Ein Hinweis aus Erfahrung: Der Rand, der das Erdreich des Grasdaches hält, soll dunkel gehalten sein, also dunkelbraun oder schwarz - aus gebeiztem Holz oder Zement, keinesfalls weiß oder in hellen Betonfarben, da sich in unseren Breiten nur dunkle Farben, besonders Dunkelbraun, gut mit dem Grasgrün und der Farbe der Erde verträgt.

Ob das Grasdach einmal im Jahr oder überhaupt nicht gemäht werden soll und ob es bewässert werden soll oder sich selbst überlassen, ist dem einzelnen freigestellt. Im Sommer ausgedörrte Grasdächer werden im Frühjahr und im Herbst und nach langen Regenperioden und sogar in schneefreien Wintern ganz von selbst grün.

Von Teerpappe als Isolierungsschicht ist abzuraten, da die Wurzeln durchwachsen, ich habe mit dicken Gummifolien die beste Erfahrung gemacht, falls sie in einem Stück und nicht geklebt sind. Überlappungen sollen mindestens einen Meter betragen.

Die Grasvegetation ist jedes Jahr anders, was sehr erstaunlich ist. Das gesäte Gras oder die ausgerollten Rasenmatten werden alljährlich durch andere Gras- und Pflanzensorten, durch Samen oder Vogelflug ersetzt - eine ständige Wandlung.

Auf meinem Grasdach in Wien habe ich Bienen, Schmetterlinge, Käfer, Amseln, ja sogar eine ihre Eier ausbrütende Wildente gesehen und fotografiert.

 

Verfasst als Vorwort zum Buch von
Roland Stifter, Dachgärten - Grüne Inseln in der Stadt, Stuttgart: Verlag Eugen Ulmer

Publiziert in:

Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser - Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben. München: Langen Müller Verlag 2004, S. 246-248

Hundertwasser. New York: Parkstone Press International 2008, S. 168-171

Hirsch, Andreas (Hg.): Hundertwasser - Die Kunst des grünen Weges, Ausstellungskatalog KunstHausWien. München: Prestel Verlag 2011, S. 165 (Auszug)