SO ETWAS WIE EINTRITTSGELD INS PARADIES

Friedensreich Hundertwasser

Kupfer, Silber, Gold sind zumindest genauso edel wie Ultramarin, Leinen, Polivinylacetat-Leim, Leinöl, Eier und zerriebene Ziegel.

Die Münzen entwerfe ich persönlich und arbeite eigenhändig an der Gipsform weiter, nachdem der Modelleur die Form in Tellergröße vorgestaltet hat. Es sind also keine Kopien von Bildern.

Als ich gebeten wurde, Münzen zu entwerfen, war ich sehr, sehr skeptisch und fast dagegen. Das ist aber immer so, wenn man mir ein neues Material zum Arbeiten anbietet, sei es Kupferstich, Litho, Gobelin, Seidensieb oder Glas.

Dann jedoch, als ich die ersten Resultate in Tellergröße in Gips, dann in Münzgröße in der Hand hatte, war ich mehr und mehr begeistert. Jetzt trage ich die ersten Münzen ständig bei mir im Sack herum als kleine Kunstwerke, die ich allen zeige.

Es sind keine Münzen im üblichen Sinn, denn es ist kein Zahlungsmittel. Aber vielleicht kann man doch mit meinen Münzen zahlen? Das wäre wunderbar.

Die Münzen haben keinen Kopf und Adler, also nur eine Vorderseite. Hinten sind nur Stempel des Feingehaltes, Zeichen des Modelleurs, Jahr, Zeichen des Österreichischen Münzamtes, des Herausgebers, das Copyrightzeichen, Titel und Oeuvrenummer, fortlaufende Auflagennummer und meine Signatur in Kurrentschrift und in Japanisch.

Außerdem sind die Münzen nicht rund, sondern haben einen unregelmäßigen Rand. Und das Metall wird denaturiert. Silber wird schwarz und schaut nicht wie Silber aus. Kupfer wird dunkel oder grünspangrün und wird wie alte römische Münzen aussehen. Überhaupt ist das Resultat verblüffend, so wie Werke aus dem vorigen Jahrhundert oder Jahrtausend, und so geheimnisvoll wie alte Stiche, wie alte, wiedergefundene Schätze.

Wenn man so ein Stück Metall so schwer in der Hand hat mit seinen Licht- und Schattenwirkungen und den Schwärzungen und Grünungen in den Tiefen, glaubt man, in ein Wunderland zu schreiten.

Die Plastizität erzeugt eine neue Dimension. Das Irreale meiner Formenwelt wird real, abtastbar, fühlbar, auch für Blinde, und daher doppelt irreal, weil es solche Formen real nicht geben darf, nicht geben kann auf Erden, oder wir wären schon im Paradies.

Es ist wirklich unglaublich, so ein Bild im Hosensack zu tragen, ohne daß es sich abnutzt, und dabei immer besser wird. Ab und zu fühlt man danach, zieht es aus der Tasche oder dem Portemonnaie und betrachtet es, naß in strömendem Regen oder im Bad unter Wasser, im Wasserglas oder in der Sonne, oder es blitzt, wenn man es im Kerzenlicht hin- und herdreht.

Und wenn es Nacht ist, ertastet man die Formen mit den Fingern. Im Bett nachts unter der Decke, wenn man einsam ist oder wenn man krank im Spitalbett zwischen sterilen Wänden liegt, oder wenn man alleine stirbt, glaube ich, ist es schön, so etwas in Händen zu haben. Man kann sich daran wärmen wie an einem heißen Stein. Oder kühlen wie an einem Schneekristall oder einem Stück aus blauem Eis. Man kann es ins Feuer legen oder ins Wasser.

Alle meine Welten sind hier konzentriert und schemenhaft zugleich vertreten, so wie eine Wiedergeburt, eine Wiederauferstehung in einer neuen Dimension.

Es ist so etwas wie Eintrittsgeld ins Paradies.

 

Verfasst anlässlich der Entwürfe für Münzen 1978.

Publiziert in:

Katalog zu den Hundertwasser Münzen, Glarus/Schweiz: Gruener Janura AG 1978, S. 10-15

Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser – Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv) 1983, S. 80-82 und Ausgabe 2004 (München: Langen Müller Verlag, ), S. 97-98

Schmied, Wieland (Hg.): Hundertwasser 1928–2000, Catalogue Raisonné / Werkverzeichnis. Vol. II: Fürst, Andrea Christa: Catalogue Raisonné / Werkverzeichnis. Köln: Taschen 2002, S. 1022-1023 (Deutsch und Englisch)