Hundertwassers Kommentar zum Werk

Tränen und Regentropfen wurden zu analogen Begriffen, die mich immer wieder ob ihrer ähnlichen Funktion in den Bann zogen. Sie wurden sozusagen Teil meines "Repertoires" wie die Spirale, die Fenster, Bullaugen, Zäune, Mandelaugen, "Alien Heads", Dampfer, Sedimentstreifen, Kampmann-Bäume, Schachtelhäuser, Zellen mit Zellkern, Schlußsteine, Rauch und vieles mehr.

Ein Schreiben Hundertwassers an Maria Bilger:
Waldviertel, Dreikönigstag 1970
Liebe Maria Bilger, Ich hatte gehofft, daß Du feinfühlig genug bist und daß ich es nicht zu sagen brauchte. Aber da Du weiterdrängst, muß ich Dir schreiben, daß Du mein Aquarell nicht bekommst, aus 2 Gründen.
1. Du hast das Aquarell "OASE NACH DER ERZÄHLUNG DES THAIB BEN THAMI" Werk Nr. 115 bei der Ausstellung mit Schidlo-Riedl Hundertwasser-Bilder ohne meine Zustimmung, ohne mein Wissen zerschnitten. Ich bekam nur das Mittelstück zurück, die abgeschnittenen Randteile jedoch bis jetzt nicht. Ich muß darauf dringen, daß Du mir die abgeschnittenen Teile zurückerstattest, wobei es fraglich ist, ob ein Restaurator die zerschnittenen Teile wieder zusammenfügen kann. Diese Zerschneidung ist also glaube ich nicht wieder gut zu machen. Ich verstehe nicht, wie Du als Künstlerin mit Kunstwerken anderer so umgehen kannst.
2. Das Aquarell "Weinender Mann mit Hut" habe ich gerettet und wäre ohne mein Dazutun verlorengegangen. Als ich nach diesem Bild fragte, um es fotografieren zu können, wußtest Du gar nicht mehr, wo es war; in Deiner ehemalige Wohnung am Karlsplatz, die Du damals schon verlassen hattest, war nur noch Mist zum Wegwerfen. Alles, was Du für wert hieltest mitzunehmen, war weg. Was blieb, sollte der neue Mieter, der bereits im Einziehen war, wegwerfen. Es waren da Stöße von Altpapier, Schachteln, Skizzen, alles zum Wegwerfen und dazwischen unter wertlosen Plakaten mein Bild. Mit dem Bild zur Wand, zum Zeichen, daß Du die Rückseite mehr schätztest als den "Weinenden Mann", mit Reißnägeln und Scotchtape grauenhaft an der Wand befestigt, verblichen und mit Wasserflecken, das von der Decke rann, versehen. Oder diese Flecken waren (sind) so arg, daß es vielleicht Kaffeeflecken oder sonstiges sind.

Die Beschädigungen sind also:
1. Fleckenstreifen über das ganze Bild und durch das ganze Papier durchgehend.
2. Beschädigung durch Reißnägel und Scotch-Tape.
3. Verbleichen der ebenfalls bemalten Rückseite durch wahrscheinlich Sonneneinwirkung (blaues Papier wurde braun). Ich brachte das Aquarell zum Restaurator CASPAR, der ein Jahr lang versuchte, das Bild zu retten. Er gab es mir zurück mit dem Vermerk, daß die Schäden so groß sind, daß es nicht restauriert werden kann! Du kannst verstehen, daß ich jemandem, der ein Aquarell von mir derart zugrunde gehen läßt und es außerdem noch zum Wegwerfen in den Koloniakübel bestimmt hat, es nicht wieder anvertrauen kann. Hätte ich nicht eingegriffen, wäre es schon längst am Misthaufen. Auch hier kann ich nicht verstehen, wie Du als Künstlerin mit den Werken anderer Kollegen so umgehen kannst. Hättest Du das Bild gekauft, wärest Du vielleicht sorgsam damit umgegangen. Warhscheinlich. Du weißt, wie sehr mir meine Bilder am Herzen liegen. Es ist hier meine Künstlerehre mit Füßen getreten worden. Jedenfalls. Eine Frau, die ein Kind mißhandelt und es nachher wegwirft, hat ja auch jegliches Recht am Kind verloren, besonders, wenn es gar nicht ihr eigenes ist, sondern ein ihr anvertrautes.
Wenn Du darauf bestehst, sende ich Dir die diversen Unterlagen:
1. Foto des zerschnittenen Bildes
2. Expertengutachten des Restaurators etc.
Also diese unangenehme Sache wäre hinter mir gebracht, und ich würde Dich gerne wiedersehen und auch sehen, was Du tust. Und Dir zeigen, was ich seither getan habe .Ich war bei Kumpf zu Besuch und bin jetzt im Waldviertel in der alten Säge meiner Mutter.
Herzlich Hundertwasser
Bin hier ganz eingeschneit bei - 20 ° Kälte draußen und male.
(aus: Hundertwasser 1928-2000, Catalogue Raisonné, Bd. 2, Taschen, Köln 2002, S. 187f.)

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WEINENDER MANN MIT HUT
Weeping Man with Hat

Aquarell

Werk auf der Rückseite:
RÄUDIGES PORTRAIT

St. Mandé/Seine, 1950
Painted in St. Mandé/Seine, April 1950
445 mm x 315 mm
Vorderseite: Aquarell, Kohlestift auf grundiertem Packpapier
Rückseite: Bleistift und Aquarell
  • Art-Club Vienna, 1952
  • A. C. Fürst, Hundertwasser 1928-2000, Catalogue Raisonné, Cologne, 2002, Vol. II, pp. 186-189 (and c)
  • Leaflet: Art Club, Vienna, 1952, cat. 18
  • Kestner-Gesellschaft, Hanover, 1964, p. 104
  • Wiener Kunstauktionen, Vienna, 1996, and back cover (c)