Hundertwassers Kommentar zum Werk

Zum ersten Mal benutzte ich Aquarellfarben, es waren Pelikan Knopffarben. Nachbarskinder machten sich einen Spaß daraus, an der Türe Sturm zu läuten und uns zu erschrecken. Denn es war die Zeit, in der die SS jüdische Familien "aushob", um sie im Osten zu ermorden. Wir waren totenstill, bis die Schritte sich entfernten. Zweimal im Abstand von etwa drei Monaten läutete die "SS", in schwarzen Uniformen mit Totenkopf auf der Mütze, wirklich Sturm. Um vier Uhr früh kamen sie, um die jüdische Tante und die Großmutter mitzunehmen, doch jedesmal konnte ich sie mit dem H.J.(Hitlerjugend)-Abzeichen, den Tapferkeitsmedaillen meines Vaters aus dem Ersten Weltkrieg und dem Eisernen Kreuz meines Onkels, der den "Heldentod" gefunden hatte, abweisen. Das dritte Mal kam jedoch eine Art "jüdischer SS" in Zivil und mit Armbinden, und dagegen nutzten die Medaillen und Abzeichen nichts, zumal die alte Großmutter vermeintlich "schwerkrank" im Bett lag. Die Tante wurde in Auschwitz, die Großmutter in Theresienstadt umgebracht. Nach dem Krieg hat meine Mutter die Verschleppten, Nichtzurückgekehrten ihrer Familie gezählt und bei 78 zu zählen aufgehört. Trotzdem habe ich nicht "traumatisch gelitten", wie man bei Kriegskindern immer behauptet. Aber meine Mutter machte sich Sorgen. Der Krieg war für mich, im Alter zwischen neun und fünfzehn, wie ein Abenteuerfilm. Ich habe zuerst den Frontverlauf der deutschen Armeen, dann den Vormarsch der Alliierten mit Stecknadeln und bunter Wolle auf einer Landkarte nachvollzogen. Auf meinen Bildern, die während des Kriegs entstanden, ist vom Krieg nichts zu sehen. Meine Mutter schärfte mir täglich ein: Nur ja nicht auffallen!Als sie nach dem Krieg beim Einkaufen immer öfter hören mußte: "Ihr Sohn steht schon wieder in der Zeitung", traf sie fast der Schlag. (Sie dachte, das würde ein böses Ende nehmen).(aus: Hundertwasser 1928-2000, Catalogue Raisonné, Bd. 2, Taschen, Köln 2002, S. 79f.)

JW 24
XIII
MEIN HAUS
My House

Zeichnung/Farbstifte
Wien / Vienna, 1944
Painted in Vienna, from the park at Obere Donaustraße, August 27, 1943 - April 4, 1944
190 mm x 150 mm
Bleistift und Buntstift auf Zeichenpapier
Private collection, Vienna

  • Jüdisches Museum, Rendsburg, 2008
  • Wasserschloss Bad Rappenau, 2008
  • Le Musée en Herbe, Paris, 2013/14
  • A. C. Fürst, Hundertwasser 1928-2000, Catalogue Raisonné, Cologne, 2002, Vol. II, pp. 79/80 (and b)
  • G. Illetschko, Planet Hundertwasser, Munich, 2012, p. 8 (c)
  • Kestner-Gesellschaft, Hanover, 1964, p. 84
  • Albertina, Vienna, 1974, p. 155
  • Jüdische Aspekte, Jüdisches Museum, Rendsburg, 2008, pp. 8 (b), 40