Hundertwassers Kommentar zum Werk

In der Wohnung Nr. 4, Stiege II, habe ich ein Wandbild gemalt, das als Geschenk für den Mieter und als Teil der Wohnung betrachtet werden kann. Entstehungsgeschichte: Während der Bauzeit haben Unbekannte große Buchstaben an die Wand gemalt. Ich bat, sie zu belassen und habe nach und nach etwas Schönes und Kostbares daraus gemacht. D.h., ich habe die Buchstaben übermalt, und es sind Fenster, Bäume und goldene Zwiebeltürme entstanden.(verfaßt in Wien, am 23. November 1985)Die Schönheitshindernisse, die "Nicht-reglementierten-Unregelmäßigkeiten" und die Spontanvegetation sollen toleriert werden. Wenn z. B. senkrechte Regenbahnen von Rost- oder Schmutzteilen die Fassade beleben oder Flecken an der Wand entstehen, so ist dies als schöne und willkommene Bereicherung zu betrachten. Es haben viele Sandler im Haus geschlafen und anonyme "Künstler" Wände bekritzelt und beschmiert. Zeugnisse dieser nicht autorisierten Aktivitäten sollen im Haus auch Spuren zurücklassen dürfen, genauso wie Schwalben- und Vogelnester irgendwo am Haus, Gras und Bäume, die irgendwo an hierfür nicht eingeplanten und vorgesehenen Stellen wachsen. Monogramme und Handabdrücke der Maurer in dem nassen Verputz sollen ebenso belassen werden wie die zusätzlichen Bereicherungen irgendwo, von irgend jemandem angebracht. Die Toleranz der "Nicht-reglementierten-Unregelmäßigkeiten" ist ein wichtiger Bestandteil des Fensterrechts. Sterile Sauberkeit, reglementierte Gleichmacherei und Monokulturen in allen ihren Spielarten sind nicht nur der Tod jeglichen Lebens, sondern auch das Symptom des Niedergangs unserer Zivilisation.(aus: Das Hundertwasser Haus, Wien 1985, S. 212)Da ich nach dem Prinzip lebe "Spontan Entstandenes darf nicht zerstört werden, weil es ein Geschenk ist, das die tödliche Sterilität mit Leben erfüllt", habe ich die Mieter der betreffenden Wohnungen gebeten, die Schmiererei (vandalistische Graffiti, sagt man jetzt dazu) nicht zu entfernen, denn ich mache einen Hundertwasser daraus. Was ich auch umsonst tat. Ich bekam aber sicher Kaffee und Kuchen.(aus: Hundertwasser 1928-2000, Catalogue Raisonné, Bd. 2, Taschen, Köln 2002, S. 1227)

ARCH 44/XIV
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WANDBILD - ZWIEBELTURMFENSTER IM HAUS

Mural for the owner of flat no. 4, staircase II, Hundertwasser-House, Vienna

Vienna, Hundertwasser-House, 1985
Kegelgasse 36, 1030 Vienna, A
  • A. C. Fürst, Hundertwasser 1928-2000, Catalogue Raisonné, Cologne, 2002, Vol. II, pp. 1227/1228 (and c)