Der Name Hundertwasser

Wieland Schmied

1949, im Alter von zwanzig Jahren, entschied sich der junge Stowasser für den Namen Hundertwasser. Er erfuhr damals, daß die Silbe „sto“ auf Russisch und in slawischen Sprachen „hundert“ bedeutet, und verwandelte seinen Familiennamen in seine poetische Form „Hundertwasser“. Wir finden die neue Signatur zuerst zögernd in die Bilder dieses Jahres gesetzt, zuweilen noch in der Kurzform „Huwa“ oder als visuelles Kürzel, die Zahl 100 und drei Wellenlinien. Die Wiener Kritik wollte lange Zeit Hundertwasser den selbstgewählten Namen nicht zugestehen und blieb dabei, nur von den Bildern eines gewissen Stowasser zu sprechen. Erst sehr viel später erfuhr Hundertwasser, daß sich der Name Stowasser etymologisch aus dem Tiroler Dialekt herleitet und eigentlich „Stauwasser“ (Stehwasser) bedeutet.

Seinen Vornamen verwandelte Hundertwasser in "Friedereich", als er 1961 ein Jahr lang in Japan lebte und es galt, seinen Namen in die von Dingen und Begriffen ausgehenden Schriftzeichen der Japaner zu transkribieren: „Hundertwasser“ machte da keine Schwierigkeiten, und „Friedrich“ wurde in die Zeichen für „Friede“ und „reich“ zerlegt. 1968 erweiterte und verdeutlichte er Friedereich - über das Zwischenspiel „Friedenreich“, das wir in einigen Bildern dieser Zeit finden - zu „Friedensreich“. Vor- und Zunamen bestehen jetzt aus genau der gleichen Anzahl von Buchstaben, nämlich 13 - eine Zahlenmagie, an die Hundertwasser glaubte und die ihm und den Betrachtern seiner Bilder, wie eine günstige Sternkonstellation Glück verheißt.

Der dritte Name, Regentag, ist der Name, dem er seinem Schiff gab - und den das Schiff ihm zurückgab. Mit keinem seiner Aufenthaltsorte – „Wohnsitze“ wurden sie alle nicht – hat er sich so identifiziert wie mit seinem Schiff. In ihm fand sein unruhiges Unterwegsein den beständigsten Ausdruck. Mit ihm war er überall und nirgends zu Hause und dabei ganz bei sich selbst.

Die Regentag war zuvor ein alter Salzfrachter, der zwischen Sizilien und Nordafrika verkehrte und ursprünglich Giuseppe T hieß. Hundertwasser erwarb ihn 1968 in Palermo und segelte mit ihm nach Venedig. In der Werft von Pellestrina, in der Lagune von Venedig, ließ er ihn umbauen und schrittweise hochseetüchtig machen. Hundertwasser hat sein Schiff bemalt und mit bunten Segeln versehen. Er erwarb das Kapitänspatent und lebte monatelang auf dem Schiff - Peter Schamoni hat darüber einen schönen Film gedreht. 1976 segelte die Regentag nach Neuseeland, wo sie in der Bay of Islands ihren endgültigen Ankerplatz fand; Hundertwasser hat einen großen Teil der Reise selbst mitgemacht.

Auf den Namen Regentag kam er, weil „an einem Regentag die Farben zu leuchten beginnen. Deswegen ist ein trüber Tag – ein Regentag – für mich der schönste Tag. Das ist ein Tag, an dem ich arbeiten kann. Wenn es regnet, bin ich glücklich. Und wenn es regnet, weiß ich, daß mein Tag beginnt!“

Von 1972 an taucht der Name Regentag auf seinen Bildern nicht nur als Bezeichnung des Ortes auf, an dem der Künstler gemalt hat, sondern mutiert zur Signatur. In ihr verschmelzen Person, Ort und Stunde zu einer glücklichen Einheit, von dem das vollendete Werk Zeugnis ablegt. Regentag hat es geschaffen.

Den Namen „Dunkelbunt“ hat Hundertwasser als letzten den anderen zugefügt, 1978 in Neuseeland. Wie „Regentag“ hat „Dunkelbunt“ vor allem mit seinem Verständnis der Farben zu tun. Den Urheber einer Serie von Fotos seines neuseeländischen Inselparadieses bezeichnete er als „Dunkelbunt“, als wollte er ihm das Dämmerlicht eines Zwischenreichs zwischen Anonymität und Identifikation zuweisen – und läßt keinen Zweifel, daß er selbst dieser Dunkelbunt ist. Dunkelbunt fotografiert das Friedensreich, in das Regentag gereist ist und in dem Hundertwasser malte: „Dunkelbunt bedeutet: in reinen starken leuchtend tiefen Farben, etwas trau­rig wie an einem Regentag“. So enthalten seine vier Namen das ganze Werk.

 

Publiziert in:

 
Schmied, Wieland (Hg.): Hundertwasser 1928–2000, Catalogue Raisonné.
Vol. I: Schmied, Wieland: Persönlichkeit, Leben, Werk. Köln: Taschen Verlag 2002, S. 35