DER KULTURPOLITISCHE MACHTANSPRUCH (Antwortbrief an Wieland Schmied)
Lieber Wieland Schmied!
Ich scheine einen Volltreffer gemacht zu haben. Die heftige Reaktion scheint mir recht zu geben. Du bist in eine böse Falle gefallen. Bist Du Dir dessen bewußt? Die grüne Revolution ist parteilos und ist die neue Evolution, die nach der proletarischen kommt, die von sich behauptet, die letzte gewesen zu sein. Sie wird von der Basis getragen und ist keine Minderheit und ist nicht elitär. Es ist die schöpferische Evolution in Harmonie mit dem organischen Ablauf der Natur und des Alls.
+ Das ökologische Engagement der sogenannten Avantgarde ist unehrlich und nachhinkend und widerwillig, genauso widerwillig verlogen nachhinkend wie das ökologische Engagement der Marxisten. Du disqualifizierst Dich, wenn Du die sogenannte Avantgarde der Ökologie gleichstellst. Avantgarde ist Mode. Ökologie ist zeitlos. Avantgarde ist bestenfalls der gehetzte ewige Versager. Ökologie sind die ewig gültigen Gesetze der Natur. + (1)
Alles Gute braucht Zeit.
Ich war der Meinung, daß um 1950 bereits die Wende zu einer neuen, wahrhaften, auf Menschen und die Natur bezogenen Schöpfung eingetreten war. Ich habe mich getäuscht. Statt des kreativen Wiederaufbaus (Transautomatismus) folgte eine perverse, hirnlose Fortsetzung der Zerstörung.
Der nötigen optischen Zerstörung folgte eine psychologische, perverse Zerstörung mit Op und Pop, Eklektizismen eines verirrten theoretisierenden Intellektualismus wie Concept Art, Hyperrealismus, Minimal Art, Spurensicherung und dergleichen, Linealanbeterei, Technokratieanbeterei, politische Modeerscheinungen wie Hitler-, Stalin-, Mao-, Che Guevara-, Vietnam-Anbeterei und anderer Tand einer negativen Philosophie einer dekadenten, aber privilegierten sogenannten Avantgarde. Eine Sackgasse des Neuheitenwahns.
Aber es war nur ein Hinausschieben der Wahrheit, die sowieso durchbricht. Es war ein 30jähriger Zeitverlust (1950-1980) der kreativen Impotenz. Die wahre Schöpfung läßt sich nicht knebeln.
Ich habe es schon damals gesagt, 1952. Ich sage es auch heute, nur mit präziseren Worten, von einem höheren Podium aus.
Ich sehe die Dinge so, wie sie sind. Ich habe die Gabe, sie beim Namen zu nennen. Ich bin tolerant. Aber ich lehne mich auf. Ich klage an. Es ist meine Pflicht. Ich bin allein. Hinter mir steht keine Diktatur und keine Partei, keine Gruppe und keine Mafia. Und auch kein kollektives Denkschema, keine Ideologie. Dieselbe Toleranz verlange ich aber auch von den Drahtziehern der sogenannten Avantgarde. Hinter ihnen stehen Diktatur, Partei, Gruppe, Mafia, Denkschema, Ideologie. Ich bin nicht im Rudel. Ich bin allein. Ich verurteile nicht pauschal die moderne Kunst. Ich habe mehrmals genau präzisiert, wen und was ich für intellektuelle Onanie halte. Ganz im Gegenteil dazu: Die von mir attackierte Mafia verurteilt pauschal das, was ihr nicht genehm ist. Und maßt sich sogar erzieherische Funktionen an mit einer nie dagewesenen Intoleranz. Alles, was von ihr nicht propagiert wird, hat in ihren Augen keine Existenzberechtigung. Alles, was sie nicht für Kunst hält, ist keine Kunst. Eine Intoleranz ohnegleichen.
Daß es Aufgabe der Kunst ist, wie ein Spiegel immer wieder nur allen Krampf und alle Ausweglosigkeit und alle Perversität unserer Zeit aufzuzeigen, ist ein abgedroschenes Schlagwort geworden. Es ist eine bequeme Entschuldigung, ein mieses Alibi der schöpferisch Unfähigen.
+ Wenn die zeitgenössische Kunst in den Abgrund fällt, zusammen mit der westlichen Zivilisation, die sich auflöst, so bedeutet das, daß die Kunst zu schwach ist, sich zu verteidigen. Zu schwach, sich selbst zu retten, zu schwach, um zu kämpfen, geschweige denn, einen Ausweg zu suchen und zu finden und vorzuzeigen. Die zeitgenössische Kunst lamentiert und heult und winselt vor dem drohenden Desaster und reagiert mit intellektueller Onanie wie ein Hund, dem man auf den Schwanz tritt. Natürlich fühlt der sensible Künstler, Seismographen gleich, kommende Gefahren. Wie ein passiver Spiegel reflektiert die Moderne jedoch nur das Grauen. Deren Künstler sind nur mehr Greuelreporter und Berichterstatter des Grauens. + (2)
+ Doch dann, anstatt sich selbst zu retten, das Übel zu bekämpfen und mannhaft einen Ausweg zu suchen, lassen diese sich vom Übel feig und schwach überrollen und in den Sumpf ziehen. Das ist eines Künstlers unwürdig. Die Museen der zeitgenössischen Kunst sind Krankenhäuser unserer kaputten Gesellschaft*, worin unsere Zivilisationskrankheiten kultiviert und konserviert werden, statt sie zu heilen. Und zur Schau gestellt werden die Produkte einer masochistischen Therapie, zur Schau gestellt werden die eiternden Ausflüsse unserer schöpferischen Impotenz. + (3)
Kunst macht keine Kleider, die eines Tages nicht mehr getragen werden. Darin unterscheidet sie sich von der Mode. * Der Raum der Kunst ist die Ewigkeit. *
Weder Brueghel noch Bosch noch Schiele, weder Ensor, Kubin noch Böcklin waren Spiegelbilder ihrer Zeit. Sie waren, im Gegenteil, Seher anderer Welten, die nicht in ihrer Zeit lebten. So wie Sonnenstern heute. Sie waren und sind nicht Spiegelbilder ihrer Zeit.
Große, wahre Kunst mischt sich nicht in irdische Belange ein. Wahre Kunst bleibt auf eigenartiger Distanz. Greift nicht ein in Geschehnisse. Sucht Gleichnisse zu Gott im Schöpferischen, Kreativen.
Wenn Künstler sich einmischen, werden sie verantwortlich.
Das Bauhaus ist mitverantwortlich für die Verbrechen der Architektur von heute.
Die unschöpferische intellektuelle Onanie in der Avantgarde von heute wird mitverantwortlich sein für noch größere Verbrechen: Atomkraft, Mutationen, Sterilität, chemische und bakterielle Vernichtung, Gehirnwäsche, Transformierung des Menschen in eine computergesteuerte Konsummaschine, genetische Verbrechen, Veränderungen der Gesetze der Natur.
Man kann meine Manifestationen und Aktionen nicht mit all der intellektuellen Akrobatik vergleichen, die nachher kam. Meine Aktionen waren, zum Unterschied zu den späteren Happenings, ganz präzise und positive ökologische Botschaften. Ich habe sie nie wiederholt, nie zur Kunstform erklärt und mich nie jahrelang darin gesuhlt.
Die Happenings, auch die von Dali und Duchamp und den Dadaisten, waren dagegen hauptsächlich Improvisationen des Sinnlosen. Auf alle Fälle ohne machbare ökologische Botschaft. Weder vom kleinen noch vom großen Mann praktisch durchführbar und verwertbar. Meine Aktionen waren Botschaften und waren alle direkt verwertbar, umsetzbar, machbar. Sie waren alle positiv und nie negativ, pervers, repetitiv, sinnlos, nie geistlose Utopie.
Wo ist das ökologische Engagement in der Avantgarde dieser Mafia? Sie ist synonym für Verirrung und nicht für Ökologie.
Die ökologische Evolution und die Menschen dieser neuen Bewegung sind im Museum des Horrorpanoptikums nicht zu finden, sondern dort, wo die Bäume wachsen, dort, wo welche zu pflanzen sind.
Nie war die Kunst so ohne Kunst, so künstlich, so entartet, so weit von der Natur und der Schöpfung entfernt wie heute. Kunst heißt schöpferisches Können. Die schönen Künste müssen schön sein. Ich habe immer Wert darauf gelegt, daß meine Bilder schön sind und habe sie immer neben Pflanzen gestellt, um zu sehen, ob sie den Vergleich mit der Natur aushalten.
Übrigens, was heißt Spießbürger in der Kunst? Was versteht man unter Spießbürger? Jemand, der röhrende Hirsche oder Alpenglühen oder Jesus im Ährenfeld oder Gartenzwerge als Wandschmuck oder Skulptur vorzieht, ist weder ein Nazi noch ein Spießbürger, sondern ganz einfach jemand, der abwartet, bis etwas Besseres kommt. Weil er keinen Zugang zur modernen Kunst findet. Aber man will ihm etwas, was ihm nicht entspricht, etwas, was er nicht verstehen kann, weil kein Verstand dahinter ist, sondern nur sinnlose Zerstörung, aufzwingen.
Das ist eine unglaubliche Intoleranz, ein Kulturterror der Museumskunst.
+ Der präpotente kulturpolitische Machtanspruch dieser nihilistischen Avantgarde ist ähnlich dem kulturpolitischen Machtanspruch des Dritten Reiches in Hitler-Deutschland, nur mit umgekehrten Vorzeichen und anderer Tendenz. + (4)
Ich verstehe auch nicht Deine Reaktion auf das Wort „entartet“.
Einem sinnentfremdeten Wort muß wieder sein ureigener Sinn zurückgegeben werde. Es hat keinen Sinn, ein bestehendes Wort vor lauter Angst nicht zu gebrauchen, es könnte ja mißverstanden werden.
Soll es vielleicht aus dem Wörterbuch bestrichen werden? Es ist so wie der Gebrauch des Wortes Jude. So, wie das Wort Jude durch selbstverständlichen Gebrauch langsam von einer falschen Assoziation befreit wird, so ist es an der Zeit, daß dies auch mit dem Wort „entartet“ geschieht. Solange wir „entartet“ nicht ganz normal verwenden können, haben wir die Vergangenheit noch nicht bewältigt. Hören wir auf, um den heißen Brei zu tanzen, und nennen wir das Kind beim Namen. Entartet heißt ent-kunstet. Entartete Kunst ist eine Bezeichnung für eine Kunst, der die Kunst weggenommen wurde. Nicht mehr und nicht weniger. So wie Kaffee ohne Kaffee oder Café décaféiné.
Ich bin auch hier konsequent im Abbauen von Vorurteilen. Zum Beispiel habe ich bereits 1954 mit dem Bild „Politische Gärtnerin“ versucht, mit einem grünen (!!) Hakenkreuz und einem violetten (!!) Hammer und Sichel bösen Symbolen ihre Substanz zu nehmen. Deswegen war ich weder Nazi noch Kommunist. Auch der Katalogtext Änne Abels 1963 gehört in diese Bestrebung: „Hundertwasser ist ein Geschenk für Deutschland“ in germanisch-gotischen Lettern! Das Wort Deutschland war so tabu wie das Wort Jude.
Ich wiederhole meinen Appell an Dich: Wo sind die kulturellen Kapazitäten, die es wagen, den Mund zu öffnen, um den Betrug zu entlarven! Habe auch Du keine Angst vor Intrigen. Sei stark. Sei frei. Sei bitte auf der Seite der wahren Evolution. Dreißig Jahre Verspätung sind genug. Du wirst aufatmen.
Dein Hundertwasser, Wien, am 16. Juni 1981
Schön ist beautiful!
1 + - + am 21. Juni 1981 hinzugefügt.
2 + - + im März 1983 hinzugefügt.
* Zitate von Ernst Fuchs.
3 + - + am 18. Juni 1981 hinzugefügt.
4 + - + 1981 hinzugefügt.
Antwortbrief an Wieland Schmied, der Hundertwasser in einem Brief vehement für seine Rede anlässlich der Verleihung des Großen österreichischen Staatspreises für bildende Kunst kritisiert hat. Von Hundertwasser geschrieben in Wien, am 16. Juni 1981.
Publiziert in:
Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser - Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv) 1983, S. 185-190 und Ausgabe 2004 (München, Langen Müller Verlag), S. 203-207