NACKTREDE FÜR DAS ANRECHT AUF DIE DRITTE HAUT

Friedensreich Hundertwasser

Es ist mir ganz gleich, ob ich lächerlich ausschaue oder nicht. Ich bin mir dessen völlig bewußt. Ich lebe in einer Art von goldenem Turm, ich habe es satt, daß nur ich darin lebe und daß es mir gut geht und daß ich glücklich bin, daß alles aus Kobalt und Silber ist. Und wenn ich hinausschaue, sehe ich, daß alles voll glattem Elend ist und alle eingekerkert sind, und das ist so furchtbar, daß es mir selber verleidet wird. Viel lieber wäre mir, wenn ich irgendwo hinschaue und sehe, daß es überall schön ist, und es wäre wichtig, daß die Leute selber anfangen ihre Schlösser zu bauen. Denn wenn sie das nicht endlich einmal tun, dann weiß ich nicht, wie das weitergeht.

Ich persönlich werde krank, wenn ich so durch die Gassen gehe, die alle gleich sind, und wo die Fenster alle gleich sind. Ich persönlich, ich halte das nicht mehr aus. Und ich wundere mich, daß die Menschen jeden Tag durch diese Straßen gehen, die alle geradlinig sind, und daß kein Mensch protestiert. Und ich finde, diese beiden letzten Revolutionen sind zu Ende, und sie sind durchgedrückt worden – die Revolution gegen den Hunger und die Revolution für die Freiheit, und trotzdem funktioniert nichts weiter. Und jetzt beginnt eine Versklavung, die ärger ist als die, die wir bisher erlebt haben.

Die nächste Revolution wird die sein, daß die Menschen sich auflehnen gegen diese geraden Dinge und gegen diese Konfektion, die nicht einmal die Maschine will. Ich bin nämlich vor drei Tagen darauf gekommen, daß die Maschine selber nicht will, daß sie ständig dazu benutzt wird, am Fließband zu produzieren. Eine Maschine hat soviel Ausschuß, der individuelle Ausschuß einer Maschine ist oft größer als die Gebilde, die alle gleich und gebrauchsfertig sind. Es genügt eine kleine Einstellung der Maschine, und die Maschine ist imstande, Flaschen zu erzeugen oder Teller, die alle verschieden sind. Die Maschine will nur das, was der Mensch will. Wenn der Mensch will, daß sie vertrottelte Dinge erzeugt, dann tut sie es, und wenn der Mensch will, daß sie schöne Dinge macht, dann tut sie das. Der Mensch soll sich nicht nach der Maschine richten, sondern die Maschine nach dem Menschen. Das erste, was zu tun ist, wenn eine Maschine gekauft wird, ist, daß man ihr einen Tritt gibt, damit sie sich von den anderen unterscheidet. Wie kann der Mensch leben mit diesen Dingen, die alle gleich sind? Seid ihr alle vertrottelt, daß ihr euch das gefallen laßt? Ich verstehe nicht, daß ihr alles ohne Mucken übernehmt und euch nicht dagegen auflehnt. Denn diese Revolution wird kommen, die Menschen werden sich nicht mehr damit zufrieden geben.

Es hat keinen Zweck, wenn ein paar Künstler etwas Gescheites tun und nicht die ganze Bevölkerung etwas tut, wie ich schon gesagt habe. Es ist mir peinlich, daß ich, nur immer ich, und der und der und der, nur ein paar wenige, etwas tun. Ich möchte sehen, daß – wenn ich aus dem Fenster schaue – etwas Schönes geschieht. Das meine ich aus purem Egoismus.

Wir leben in Gebäuden, die verbrecherisch sind und die von Architekten gebaut sind, die wirklich Verbrecher sind. Und das kann ich beweisen. Wenn man ein Kind in seinem Wachstum hemmt, ist das etwas sehr Ähnliches. Es gibt so Wunderkinder, denen gibt man so Pillen, damit sie klein bleiben. Das ist eine kriminelle Tat: damit sie so klein bleiben und nicht größer werden. Dasselbe macht man mit der Architektur. Die Architektur soll erst zu wachsen beginnen, wenn die Menschen drinnen einziehen und nicht umgekehrt.

Es gibt nämlich eine Art von Protest gegen diese Art von Architektur: man braucht diese Architektur ja nicht zu benutzen, man braucht da nicht hineinzugehen. Man geht zur nächsten Telefonzelle, ruft an und sagt, in dieses Haus gehe ich nicht hinein, der Herr soll herauskommen, und wir treffen uns lieber in einem barocken Pavillon oder unter einem Baum.

Ich bin gegen die Benützung von Rauschgift. Denn die Leute, die Rauschgift nehmen, das sind die Leute, die im Traum leben, und die Gebilde bleiben im Traum verhaftet. Es ist besser, daß – wenn man eine neue Ordnung aufbaut – dies im nüchternen Zustand getan wird.

Ich habe das Gefühl, daß ich unter lauter Trotteln lebe, unter lauter Ameisen, die nichts tun. Am liebsten würde nämlich ich nichts tun und lieber schauen, was die anderen Leute tun. Ich habe ein festes Gefühl dafür, wie das Leben sein soll und wie das Paradies sein soll. Ich möchte viel lieber in einem Stuhl sitzen und das Paradies betrachten, aber da es sich nicht bildet und nicht bilden will, muß ich es leider selber tun.

Ich kann es zum Beispiel nicht begreifen, daß Leute in diesen Gefängnissen wohnen – ich komme immer wieder darauf zurück – und sich nicht dagegen auflehnen. Es wäre doch so einfach, sie brauchen doch nur etwas darum herum zu malen oder Mosaik aufzulegen. Die junge Generation tut das ja schon. Die macht ja nicht mehr mit. Die jetzt fünfzehn, sechzehn Jahre alt sind, die machen nicht mehr mit. Die Architektur können sie noch nicht verändern, denn das gestattet man ihnen noch nicht, denn da ist eine Behörde, die das verhindert, unter allen Umständen. Es dürfen nur irgendwelche Architekten irgend etwas tun, die ein Diplom haben. Und diese Architekten, wie auch alle, die studiert haben, sind derartig verbildet... Durch diese Maschinerie, durch die sie gegangen sind, sind sie nicht mehr fähig, einen eigenen Gedanken zu fassen. Sie sind ja überhaupt nicht mehr fähig, schöpferisch zu denken, und diese Menschen tragen die Verantwortung für uns alle.

In dieser Welt ist es nämlich so: Wer sich eine Krone aufsetzt, wird ein König, wer sich zwei Kronen aufsetzt, wird ein Kaiser. Warum tun sich die Leute keine Krone aufsetzen? Weil sie zu feige sind, um Könige zu sein.

Sie trauen sich nicht einmal, mit der Nase aus dem Fenster zu schauen, sie trauen sich nicht einmal, einen Reißnagel in die Wand zu schlagen – aus Angst, ihnen könnte gekündigt werden. Dabei ist es so einfach.

Ich garantiere Ihnen, ich kann das Stadtbild von München in binnen fünf Stunden verwandeln, aber so, daß man es nicht wiedererkennt. Es braucht nur jeder Mensch mit Bewußtsein sich aus dem Fenster zu beugen und irgend etwas zu tun, irgend etwas. Er braucht sich nur auszuziehen.

Es braucht nur ein Mann mit einem fünfzehn Meter langen Hut durch so eine häßliche Gasse zu gehen, und sofort wird die Architektur für die Zeit verändert, die er braucht, um durch diese Gasse zu gehen.

Es braucht nur ein umgestaltetes Auto – mit einem Aufbau oder einer schönen Fahne – durch diese Serienfabrikate zu fahren, und, so lange das Auto hindurchfährt, ist die Architektur verändert. Das ist der Beweis dafür. Ein einziger Mensch kann eine Architektur durch seine alleinige Anwesenheit verändern. Umso mehr wird das Stadtbild verändert, wenn das jeder tut. Wozu haben wir denn Fasching alle Jahre einmal? Nicht wahr, damit diese Leute sich austoben können, diese Trottel, nicht wahr, weil sie sich im Leben nicht trauen, sich immer so wie im Fasching zu bewegen. Im Fasching tut jeder das, was er für gut empfindet, nicht wahr. Ich weiß, ihr haltet vielleicht diese Manifestation irgendwie für einen Fastnachtsscherz, aber so ist das nicht. Es ist blutiger Ernst. Ich bin sicher. Ich bin davon überzeugt, daß dieser Tag in die Geschichte eingeht, daß von heute ab eine neue Zeit beginnt.

Die einzige Möglichkeit ist die: Man muß die Leute zur neuen Revolution anstacheln. Wenn sie zu blöd sind, selber darauf zu kommen, muß man es ihnen sagen, daß sie Trottel sind. Auch ihr gehört dazu. Ihr geht jeden Tag in die Arbeit mit einer Krawatte und so. Warum? Aus Angst aufzufallen, aus Angst, es könnte irgend etwas passieren. Die geringste Abweichung, und ihr habt schon Angst, ihr könntet fliegen, aus der Schule entlassen werden oder dieses oder jenes. Wozu, warum, was kann euch passieren? Daß ihr keinen Lohn kriegt, oder was?

Wozu diese vertrottelten Streiks, um mehr zu bekommen – mehr Geld zu bekommen? Man kann mit weniger leben. Ich kann euch versichern, ihr braucht nur deshalb so viel Geld, weil ihr diese vertrottelten Konsumgüter kauft.

Deswegen, wenn ihr einen Teller kauft, verändert ihn, wenn ihr eine Waschmaschine kauft, gebt einen Tritt hinein, wenn ihr nach Hause kommt ins Badezimmer und seht diese Kacheln, die alle gleich sind, nehmt einen Hammer und haut hinein: damit endlich einmal diese sterile Ordnung durchbrochen wird.

 

Rede gehalten in der Galerie Hartmann, München, 12. Dezember 1967.

Publiziert in:

Kataloge zur Welt-Wanderausstellung 1975–1987: Französische Ausgabe:Paris, Luxemburg, Marseille, Kairo, 1975; Kopenhagen, Dakar, 1976; Montreal, Brüssel, 1978. (Auszug)

Hundertwassers Privatdruck über die Manifeste und die Nacktreden 1967 und 1968. Wien, 2. Auflage, 1968

Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser – Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben. Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv): München 1983, S 170-173 und Ausgabe 2004 (Langen Müller Verlag, München), S. 222-225

Das Hundertwasser Haus. Österreichischer Bundesverlag/Compress Verlag: Wien 1985, S. 56-58

Hundertwasser Architektur. Für ein natur- und menschengerechteres Bauen. Taschen: Köln 1996, S. 54-56 und erweiterte Neuausgabe 2006, S. 40-42

A Magical Eccentric, Katalog zur Ausstellung im Szépmüvészeti Múzeum, Budapest 2007, S. 168-170 (Ungarisch und Englisch, Auszug)

Hundertwasser. Parkstone Press International: New York 2008, S. 131-132

Hirsch, Andreas (Hg.): Hundertwasser – Die Kunst des grünen Weges, Ausstellungskatalog KunstHausWien. Prestel Verlag: München 2011, S. 130 (Auszug)

Grunenberg, Christoph und Becker, Astrid (Hg.): Friedensreich Hundertwasser. Gegen den Strich. Werke 1949-1970, Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle Bremen. Hatje Cantz Verlag: Ostfildern 2012, S. 228-231 (Auszug)

Schreiber, Daniel J. (Hg.): Hundertwasser. Schön & Gut, Katalog zur Ausstellung im Buchheim Museum der Phantasie, Bernried, 2016, S. 16-19