DIE FALSCHE KUNST

Friedensreich Hundertwasser

Auch die Kernenergie, diese allerletzte Verirrung in der Menschheitsgeschichte, war nur möglich, weil man nur das scheinbar Rationelle im Auge hatte. Es fehlen die moralisch-ästhetischen Werte und das Bindeglied zwischen dem Menschen und der Kreation, das die Kunst vertritt. Ohne Kunst, ohne das Schöpferische geht nichts.
Wir leben im Paradies. Wir machen es nur kaputt.
Es ist alles da, um glücklich auf Erden zu sein. Wir haben Schnee und jeden Tag einen neuen Morgen, wir haben Bäume und Regen, Hoffnung und Tränen, wir haben Humus und Sauerstoff, Tiere und alle Farben, ferne Länder und Fahrräder, wir haben Sonne und Schatten, wir sind reich.
Doch was macht der avantgardistische Trottel mit der Kunst? Er hilft den Zerstörern unserer Existenz nach Kräften. Helfershelfer einer blinden Mafia aus Museumsdirektoren, Journalisten, Kritikern und negativen Philosophen.
Die zeitgenössische Kunst ist entartet. Man soll sich nicht scheuen, dieses mißbrauchte und falsch verwendete Wort zu gebrauchen. Die moderne Kunst ist ein Horrorpanoptikum geworden.
Kunst ist jedoch etwas Religiöses. Ein Platz der Andacht, ein Ort der Erbauung, des Friedens, ein Ort, wo man tiefe seelische Hilfe bekommt, wo man den richtigen Weg wiederfindet, den man verloren hat.
Kunst muß wertvoll sein und Werte aufbauen und nicht Werte zerstören. In der Kunst muß man sich zu Hause fühlen, geborgen wie in der Heimat. Die Kunst muß schön und wahr und gut sein. Die Kunst muß zur Einfachheit zurückfinden in dieser verkomplizierten Welt. Wenn ein Künstler dieses, das Selbstverständliche, tut, wird er mißverstanden und verleumdet.
Denn gemäß einem jetzt Mode gewordenen blinden Intellektualismus sind simple und schöne Lösungen von vornherein auszuschließen. Die absurdesten Tätigkeiten werden perfektioniert und angebetet. Die Kunstmacher wollen in der vordersten Reihe der Zerstörer stehen.
Die Kunstmacher und Kunstbetreiber sind lange schon nicht mehr die Künstler selbst, sondern eine kleine internationale Mafia von frustrierten Intellektuellen. Frustriert, weil die breite Öffentlichkeit dieses Getue nicht beachtet und weil ihr Getue sie selbst nicht befriedigt. Diese Kunstmacher und Kunstbetreiber, die jetzt den Rang von Museumsdirektoren, Kunsttheoretikern und Journalisten haben, sind Parasiten der Gesellschaft. Kein Mensch will sie haben.
Diese Mafia, blaß und weltfremd und lichtscheu und wahr¬heitsscheu, will dem Volk diktieren, was Kunst ist.
Sie sitzt abseits unnahbar und vom Volk unbeachtet auf Thronen, spricht zum dummen Volk mit Fremdwörtern und Verklausulierungen, so wie die Ärzte, auf lateinisch, um sich mit der Angst vor Unverständlichem Respekt zu verschaffen.
Op art, pop art, body art, concept art, land art, happening, dripping, action painting, Tachismus, Kinetismus, minimal art, Transavantgarde, um nur einen Teil des avantgardistischen Lateins zu nennen. Zuerst war das Latein französisch, jetzt ist es englisch.
Diesen frustrierten Kunstmachern fressen die Maler aus der Hand, in der Hoffnung, eine Ausstellung hier, einen Zeitungsartikel da, einen Bilderkauf dort zu ergattern. Die, die dadurch ganz berühmt werden, werden dann die falschen Hofnarren und falschen Clowns des Establishments.
So wird die Kunst häßlich und leer, ohne Schönheit, ohne Gott, dumm und kalt und herzlos. Die zeitgenössische Kunst ist eine intellektuelle Onanie geworden, erzwungen als kurzlebiges Statussymbol. Eine Kunst, die unglücklich macht.
Der Ausweg aus dem Chaos kann aber nur schön und gut sein und einfach, das heißt der Weg aus dem Chaos muß bereits schön und gut sein und einfach, sonst kann er nicht beschritten werden.
Warum fragt man nicht die Omama, was sie für schön und gut und richtig hält? Die Abwesenheit von Kitsch macht unser Leben unerträglich. Ohne Romantik geht es nicht.
Der entmachtete Künstler, der den Machern negativer Kunst aus der Hand frißt, ist zu einem Möchtegern-Diktator geworden. In Wahrheit ist er jedoch ein Nachvollzieher von Hirngespinsten. Er liefert nur mehr Belege für intellektuelle Theorien, völlig entfremdet von den Gesetzen der Natur und dem, wonach der Mensch sich sehnt.
Die Folge ist eine Kunst, die den Betrachter, den Beschauer so unwohl macht wie ein hypnotisiertes Huhn. Die Kultur begeht Selbstmord. Diese pseudo-intellektuelle Spielerei muß ein Ende haben. Die Situation ist zu ernst.
Wo sind Gegenstimmen? Wo sind die Warner? Wo sind die kulturellen Kapazitäten, die es wagen, den Mund zu öffnen, um den Betrug zu entlarven?
Des Künstlers Aufgabe jedoch ist es, gerade jetzt diese Welt zu erhalten, zu verbessern, was falsch gemacht wurde, zu verschönern, was häßlich gemacht wurde, zu warnen mit all seiner musischen und seherischen Macht.
In den Museen der jetzigen Kunstmacher ist die Kunst weltfremd, von der Ökologie, von den Gesetzen der Natur und vom Menschen getrennt.
Eine Kunst, die die Gesetze der Natur mißachtet, zerstört die Umwelt und sich selbst.
Die moderne Kunst hat sich befreit, so sehr befreit, daß sie sich selbst erledigt hat. Die moderne Kunst ist als Avantgarde am Ziel vorbeigeschossen, ins Leere, in den stupiden Selbstmord.
+ Es ist nicht das erstemal in der Geschichte, daß neue scheinbar gute Entwicklungen und Evolutionen, einmal von Menschen in Gang gesetzt, nicht aufzuhalten sind und auch ihren starren Kurs nicht ändern können und in immer größerem Tempo in einen langen Alptraum rasen, bis sie zerbrechen. +*
Das war so mit dem Faschismus, dem Kommunismus, mit dem Gebrauch des Lineals, mit dem Gebrauch der Waschmittel, Kunstdünger, Schädlingsbekämpfungsmittel und anderer Gifte, und das war so mit der Kernkraft.
Und das ist so mit der avantgardistischen Moderne in der Kunst.
Um die Jahrhundertwende begann ein berechtigter Kampf um die Befreiung von erstarrten Manierismen und den Fesseln des optischen Naturalismus. Impressionismus, Expressionismus, Kubismus, Abstraktion und Tachismus waren die Meilensteine.
Dann hätte eine neue Schöpfung einsetzen sollen, eine Ära der Besinnung und des kreativen Wiederaufbaues.
Doch nein. Schöpferisch unfähige, frustrierte Intellektuelle haben Blut gerochen. Es folgte ein Avantgardismus um jeden Preis. Zerstörungsorgien noch und nöcher, obwohl es nichts mehr zum Zerstören gibt.
Neu, neuer, neuest um jeden Preis ist das Gebot des Avantgardismus.
Und unter neu versteht der negative Theoretiker das, was schnell und toll zerstört.
Der avantgardistische Sklave der Kunstmafia trampelt so in Ruinen herum, verzweifelt auf der Suche nach etwas, was er noch vernichten kann. So wird die Kunst pervers.
Dieses negative, das Leben verneinende Ruinengerümpel füllt nun unsere Museen, rostet, verstaubt und zerfällt.
Unser Feind ist eigentlich die Dummheit, nicht echt von falsch unterscheiden zu können.
Ein Museumsdirektor müßte haftbar sein für seine Handlungen, und muß ins Gefängnis kommen können, wenn er mit öffentlichen Geldern Plunder kauft.
Dieses Horrorpanoptikum der zeitgenössischen Kunst wird von einer kleinen farben- und formenblinden traurigen Clique angebetet wie das Goldene Kalb und bestaunt wie des Kaisers neue Kleider. Und des Kaisers neue Kleider werden noch lange bestaunt und angebetet, obwohl er gar keine anhat.
So lange, bis diesem absurden Spuk in der Kunst von heute schlagartig ein Ende gemacht wird.
Ein Lügengebäude bräche dann zusammen.
Man bräuchte nur Licht zu machen, und der Spuk fiele wie Schuppen von den Augen, und man wäre nicht mehr blind.
Es gibt Maler, Gott sei Dank, die unerschütterlich und stark und frei ihren Weg gehen. Sie verbreiten Gutes und Schönes mit überirdischer Kraft.
Sie haben eine Aura, wie ein dunkles Leuchten. Sie sind unsere Hoffnung.

+-+* = eingefügt auf Englisch in den Vortrag am 7. Dez. 1982, San Francisco State University.

 

Ausschnitt aus der Rede Hundertwassers anlässlich der Verleihung des Großen Österreichischen Staatspreises für Bildende Kunst 1980 am 14. Mai 1981.

Publiziert in:

Fanale der Zeit, Zeitschrift zur freimütigen Erörterung von Lebensproblemen der Menschheit, 13. Jg., IV. Folge, Dezember 1981, Wien, S. 12-14 (Auszüge)

Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser - Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv) 1983, S. 181-185 und Ausgabe 2004 (München, Langen Müller Verlag), S. 194-197

Hundertwasser. New York: Parkstone Press International 2008, S. 79 - 82

Art Souvenir - Hundertwasser, In the Colour of His Brush, London: Gudrun Publishing 2016, S. 93-100 (Auszug, englische Sprachversion)