EINE NEUE FRIEDHOFSORDNUNG - WIEDERGEBURT ZU HAUSE
Utopisch klingt, aber durchführbar ist die Totenbestattung im eigenen Haus, in den Humusschichten der bewaldeten Terrassen.
Wenn das Haus z.B. 50 Wohngemeinschaften hat, auf den Dächern 500 Tonnen Erdreich liegen, so können 500.000 kg Erde spielend pro Jahr einen 50 kg schweren Toten in sich aufnehmen, besonders weil er ja sowieso zu Humus wird. Das wären 1 % von 1 % oder ein Zehntausendstel des Erdvolumens, das sich innerhalb eines Jahres auf ein Hunderttausendstel verringern würde, von 50 kg auf 5 kg. Die Hygiene wäre gegeben, weil die Humisierung aerobisch vor sich geht, wodurch anaerobisch gefährliche Fäulnisbakterien nicht entstehen können.
Die Bestattung muß ohne Sarg, mit einem Leichentuch, in mindestens 60 cm dicker Erdschicht vorgenommen werden. Ein Baum soll auf dem Grab gepflanzt werden, der symbolisch, aber auch faktisch das Weiterleben des Toten gewährleistet. Bei einer Umsiedlung sind zwei Möglichkeiten offen. Entweder die Gebeine bleiben als eine heilige Stätte im Ausmaß 2 x 1 m von den neuen Bewohnern respektiert und die alten Bewohner kommen die heilige Stätte ab und zu besuchen, oder aber die Gebeine können nach etwa einem Jahr gefahrlos exhumiert und woanders beigesetzt werden, da die Reste nur etwa 5 kg wiegen.
Der Mensch wird jetzt total unökologisch und antireligiös bestattet, gegen alle Gesetze der Natur, des Kosmos, des Kreislaufes und der Wiedergeburt und der Wiederauferstehung: in luftdicht abgeschlossenen Särgen, in vier Metern Tiefe, wo er nicht zu Humus werden, sondern nur pestilenzartig verfaulen kann, weit weg vom Untergrundleben der Vegetation und der Baumwurzeln. Um die Auferstehung unmöglich zu machen, versperrt man den Weg zur Schöpfung noch zusätzlich mit Betonplatten, uniformen Grabsteinen, Plastikrasen und Plastikblumen.
Eine Andacht an dieser Stätte des nochmals gemordeten Toten, dem man die Wiedergeburt verwehrt, ist unmöglich. Ein Toter hat das Recht auf Wiedergeburt in Form z.B. eines Baumes, der auf ihm und durch ihn wächst. Es entstünde ein heiliger Wald von lebenden Toten. Ein Garten der glücklichen Toten, den wir so sehr benötigen. Sogar chemisch ist die Wiedergeburt nachzuweisen, weil sich Substanzen des Toten im Baum auf dem Grab wiederfinden.
Die bisherige Totenstätte wird zum Ort der Andacht, zum Ort der Freude und des wiedergewonnenen Lebens. Und das bei sich zu Hause, nicht auf einem fernen, von Fremden verwalteten Friedhof. Die Familie und die Freunde sterben nicht. Der Kreis wird größer und die guten Geister kehren zurück.
Verfasst 1985 für das Buch Das Hundertwasser Haus.
Publiziert in:
Das Hundertwasser Haus, Wien: Österreichischer Bundesverlag/Compress Verlag 1985, S. 318
Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser – Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben. München: Langen Müller Verlag 2004, S. 278-279
Der unbekannte Hundertwasser. Katalog zur Ausstellung KunstHausWien. München: Prestel Verlag 2008, S. 241
Hundertwasser The Green City, Katalog zur Ausstellung, Sejong Museum of Art, Seoul, 2016, S. 242-243 (Englisch/Koreanisch)