NANA HYAKU MIZU - Sieben Hundertwasser

Winzinger Franz

Die in dieser Mappe vereinigten Farbholzschnitte von Friedensreich Hundertwasser sind in enger Zusammenarbeit mit den besten Holzschneidern und Druckern Japans entstanden.

Der Holzschnitt hat in Ostasien eine sehr viel ältere Tradition als im Abendland, wo die frühesten mit Holzplatten gedruckten Andachtsbilder erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts gefertigt wurden. Im Gefolge des Buddhismus kam die Technik des Holzschnitts nach Japan, und schon im 6. Jahrhundert sollen dort mit Handstempeln Amulettdrucke (suribotoke) und in Holz geschnittene Textdrucke auf schmalen Papierstreifen mit buddhistischen Segenssprüchen hergestellt worden sein.

Der älteste überhaupt bekannte Bildholzschnitt, einen lehrenden Buddha mit Gefolge darstellend, wurde 1907 in den „Tausend-Buddha-Grotten“ von Tun-huang in Chinesisch Turkestan von Sir Aurel Stein aufgefunden, und kann auf das Jahr 868 n. Chr. datiert werden. Er befindet sich heute im Britischen Museum.

Hundertwasser nimmt bewusst die Tradition des im 18. Jahrhundert aufkommenden klassischen japanischen Farbholzschnittes wieder auf, bei dem ebenfalls der entwerfende Künstler eng mit einem Holzschneider und einem Drucker zusammenwirkte.

Den entscheidenden Anteil an dem Werk hatte natürlich der entwerfende Künstler, obwohl der Wert eines Holzschnittes auch wesentlich von der Feinheit und Geschmeidigkeit des Schnittes, sowie von der technischen Vollendung und farbigen Harmonie des Druckes bestimmt wurde.

Die jetzt vorliegenden Holzschnitte Hundertwassers sind nach dem gleichen Verfahren hergestellt. Um den Reichtum der Valeurs herauszubringen, waren bis zu zwanzig verschiedene Farbstöcke nötig, die auf das Feinste aufeinander abgestimmt werden mussten.


So sehr sich die japanischen Holzschneider und Drucker - es sind die letzten überlebenden Meister Ihres Faches - auch der Führung Hundertwassers unterordnen, so bedeutet ihre Mitarbeit doch eine ganz eigene Zutat zu dem Werk, gleichsam ein exotisches Gewürz, das den Reiz dieser Blätter beträchtlich erhöht. Es ist deshalb angebracht, dass jeder Holzschnitt neben der Signatur Hundertwassers auch die Namen und Signete dieser japanischen Meister trägt.

Das Verfahren erforderte einen unerhörten Arbeitsaufwand. Die Holzschnitte sind in sieben Jahren durch unzählige Arbeitsgänge langsam ausgereift. Allein schon diese beispiellose Anstrengung macht diese Blätter kostbar und verleiht ihnen ihre Sonderstellung.

Die Welt Hundertwassers
Die Welt Hundertwassers ist heidnisch. Die christliche Vergangenheit des Abendlandes hat darin keinerlei Spuren hinterlassen. In die verführerischen Irrgänge seiner Bilder lockt das Wunderbare, aber sie sind ohne Verheißung auf Erlösung: jeder unternimmt das Abenteuer auf eigene Gefahr. Dabei begegnen uns immer wieder pure Äußerungen des Barbarischen: das von Dämonenfurcht in Streifig-Verzerrtes verwandelte menschliche Antlitz, das an die Masken der Sepik aus den Flussniederungen und Urwäldern Neuguineas oder an chinesisches T’ao-t’leh erinnert. In diesen scheinbar so heiteren Festen der Farbe schlagen immer wieder Erinnerungen an Dunkles und Grausames durch. In dem ersten der in Japan geschnittenen Blätter, das der alte Magier Toyohisa Adachi schon vor dem Entstehen dieser Mappe von seinen besten Holzschneidern und Druckern in langer, entsagungsvoller Arbeit fertigen ließ, geht über die, wie in einer böhmischen Dorfzeile aufgereihten, ängstlich zusammengerückten Hausgiebel ein apokalyptischer Blutregen nieder. Da und dort ist, kaum verdeckt, Drohung und Gefahr – Moder aus den Wohnungen des Todes. Alles ist der Erde verhaftet, in keinem der Bilder gibt es helle Himmel oder befreiende Horizonte. Diese Malerei ist ein unausgesetzter, heroischer Versuch, alle dunklen Anfechtungen siegreich zu bestehen, denn Malerei ist für Hundertwasser zuletzt Ausdruck reiner Lebensfreude.

Viele dieser Blätter, etwa auch diejenigen, die er hier als „Kumo no kankei“ (Nr. 470a) oder „Mekura no megame“ (563a) bezeichnet, erscheinen wie von oben gesehene uralte Steinsetzungen heiliger Bezirke, die sich geheimnisvoll durch den gewachsenen Boden abzeichnen. Sie erinnern an die prähistorischen japanischen Grabanlagen von Uwanabe und Hoshihaka oder an die Grundrisse kyklopischer Burgen. Und ist das große Blatt (475a), das er in dichterischer Aussage „Rain and blood dropping into Japanese Waters located in an Austrian Garden“ nennt, nicht wie das von Palisaden eingesäumte unterirdische Grab eines mythischen Barbarenkönigs? Dem Netz einer Spinne gleich, greifen aus der blauen Grabkammer nach allen Seiten längst verschüttete Zugänge; das Ganze ist wie ein Sinnbild der nach allen Richtungen der Windrose wirkenden Herrschermacht.

Diese geheimen Stätten erscheinen eingebettet in fruchtbarer begrünter Erde und plötzlich wird es deutlich sichtbar, dass es sich bei den Bildern des Malers um Sgraffiti nach der Natur handelt, um Formen, die aus der Natur herausgerissen sind, freilich aus einer Natur, die schwanger ist von den alten Mythen. Erinnert nicht die „Spiralsonne und das Mondhaus des Nachbarn“ an aztekische Bilderhandschriften, in denen früheste kosmische Erfahrung des Menschen in geheimnisvoller Verschlüsselung festgehalten sind?

Man hat in Hundertwasser nicht ganz zu Unrecht den legitimen Erben einer ausgeprägten Wiener Tradition gesehen. Ohne Zweifel sind die Sezession, die Werke von Klimt und Schiele oder des frühen Kokoschka, ein wesentlicher Ausgangspunkt seiner Entwicklung. Und wer von allen Nachkommen hätte sich der Führung Paul Klees ganz entziehen können. Aber nur selten vorher – es sei denn man greife auf frühe ottonische Handschriften zurück – ist Farbe mit größerem Glanz kühner und ausdrucksmächtiger aufgetragen worden als in den Bildern Hundertwassers.

In geradezu schwelgerischer Lust erschafft er eine ganz neue, unvergleichbare Welt. Seine Bilder wirken deshalb wie die Aufzeichnungen eines verwegenen Konquistatoren, der von nie zuvor geschauten Wundern einer „Terra incognita“ berichtet: ein trunkener, manchmal zügelloser Fabulierer, dem sich immer wieder Dichtung und Wahrheit zu naiv-raffinierten Mustern verstricken.



Erregend ist seine Fähigkeit, sich von einem hochgezüchteten Intellekt, wie von einem an die Leine gelegten Spürhund, in die verwunschenen Schattenreiche amazonischer Wälder geleiten zu lassen, in eine Welt von überschwänglicher Farbenpracht, geiler Fruchtbarkeit und giftiger Schönheit.

In vielen dieser Bilder ist der Zauber und das Geheimnis des Orients. Da und dort erscheinen uns Erinnerungen an die verschwiegenen Gärten von Schiras, an den Lüsterglanz türkisener Kacheln der Moscheen Isfahans, deren Kuppeln in den Bildern Hundertwassers gelegentlich auftauchen. Dann durchstreicht sie wieder ein Hauch des vom Urwald verschlungenen Angkor, von Exotischem aus der Südsee, von Mustern ozeanischer Rindenstoffe und nicht zuletzt ist da die unübertreffliche Schönheit der Holzschnitte der Harunobu, Utamaro, Sharaku und Hokusai, die der Maler so sehr bewundert. Und hier schließt sich der Kreis. Schon durch seine frühere Lebensgefährtin eng mit Japan verbunden, hat Hundertwasser sich nun bei diesen Arbeiten mit den Künstlern des Fernen Ostens verbündet, um diese kostbaren Blätter zu schaffen.

 

Publiziert in:

Beitrag von Prof. Dr. Dr. Franz Winzinger, Regensburg, in einer Broschüre zum Portfolio Nana Hyaku Mizu, erschienen 1973.