BRIEF AN J. J. ABERBACH

Friedensreich Hundertwasser

Lieber Aberbach,

bin seit 3 Monaten wieder in meinem Paradies, wo die Bäume, von mir gepflanzt, bereits Wälder geworden sind, in denen man spazieren gehen kann. Ich male an 4 Bildern, die noch intensiver als je zuvor meine vegetative Malweise unter Beweis stellen.

Das ist es eben, was mich von anderen Malern unterscheidet. Ich male nicht expressiv und nicht imitativ so wie es heute Mode - noch - Mode ist, sondern vegetativ, eine Ausdrucksweise der Zukunft des ecologischen (sic!) Zeitalters, das jetzt anbricht. Man wird dies erst nach 10 Jahren oder nach einer Generation verstehen. Vorerst beurteilt man meine Bilder nach dem optischen Schein, so als wären sie expressiv-imitativ und nicht nach tatsächlichem Gehalt, der authentisch, schöpferisch, organisch, vegetativ, magisch entstanden ist.
Ich bin aber guten Mutes, denn ich weiß um meine Bedeutung als Wegweiser zu einem Friedenspakt mit der Natur.

In diesem Friedenspakt mit der Natur ist einer der wichtigsten Punkte die Wiedervereinigung der Schöpfung der Natur und der Schöpfung des Menschen, die seit Jahrhunderten getrennt wurden (z.B. Naturhistorisches und Kunsthistorisches Museum).
Die Kunst muß eine Brücke zur Natur schlagen und nicht noch künstlicher werden, d.h. sich noch mehr von der wahren Schöpfung entfernen. Wenn der kunstbildende Prozeß bereits gegen die Gesetze der sich selbst schaffenden Natur verstößt, so kann das Resultat kein Kunstwerk im Sinne der Schöpfung werden.

Wenn die Bausteine falsch sind, kann kein gutes Haus daraus werden.

Dieser Prozeß des schöpferischen Werdens und verantwortungsvollen Entstehens ist sehr langsam und in seinem Beginnstadium scheinbar unscheinbar wie ein ganz junger Baum.

Ich versuche auch, meine Malerei und mein Leben, meine Werke und Taten konsequent in Einklang zu bringen.

Interessant ist, was Julien Alvard 1954 in Paris zu meiner Ausstellung bei Facchetti schrieb: Il faut beaucoup de sérieux pour mener à bien l’ironie d’une telle entreprise. Et beaucoup de sens moral pour l’apprécier. Mais ce sérieux lui sera compté pour folie, cette folie pour calcul, ce calcul pour préméditation. C’est tout à son honneur...*)

Ich bin ein glücklicher Mensch, weil alle meine Tätigkeiten auf ein Ziel ausgerichtet sind und sich dort vereinen.

1. Malerei
Ich male hier an vier Bildern: „Point de vue chinois“, „Immigration of an amphibian car“, „Veena“ (Cyclone in Tahiti), „Das Autokreuz“ (Weiterentwicklung der Straßengekreuzigten). Gleichzeitig an drei japanischen Holzschnitten in enger Zusammenarbeit mit japanischen Meistern in Kioto und Tokio: „Hüte tragen Tennos“ (Tennos fly with hats), „Automobil im Regen“, „Das Ende der Wasser“. Die Japaner schneiden Holzblöcke nach meinen Anweisungen.
Doch meine große Bombe ließ ich vor meiner Abreise in Venedig los:
Es ist mir gelungen, im Siebdruckverfahren eine Auflage von 10.002 Stück zu machen, von denen jedes Blatt vom anderen verschieden ist!!! „Homo Humus how do you do 860 10002 nights“. Die Blätter dieser Auflage sind so verschieden wie die Blätter eines Baumes. Eine Auflage, die aus Unikaten besteht. „A victory of man over chain production using the reproductive machine to produce creative individuality. A big step towards liberation of mankind from the worst enslavement in history: the machine made terror.” Ich sende eine Broschüre.

2.
In Neuseeland habe ich einen unglaublichen Sieg errungen. Es ist mir gelungen, von der N.Z. Regierung die Bewilligung zu erlangen, auf meinem Land begraben zu werden.
Dies ist ein erster konkreter Schritt zu einer Revolution im Rahmen des Friedenspaktes mit der Natur und eine erste Anerkennung.

Die zukünftigen Friedhöfe werden „Nature reserves“ sein. Ohne Mauern. Die Toten werden nur so tief bestattet, dass die Bäume, die auf den Gräbern gepflanzt werden, von den Verstorbenen profitieren. Die Toten sterben nicht, sondern leben in Form von Bäumen weiter. Eine tatsächliche Wiedergeburt, eine tatsächliche Wiederauferstehung findet statt.

Die Friedhöfe werden zu Wäldern des Lebens. Heute dagegen ist die Bestattung ein Frevel gegen die Ökologie, gegen das Leben, gegen den Kreislauf, gegen die Wiedergeburt, gegen die kosmischen Gesetze der Natur.

Heute wird ein Keil, eine Betonwand zwischen Tod und Leben gelegt. Eine 4 Meter Gruft, so daß keine Wurzel hinkann, hermetisch verschlossene Särge, wo die Überreste elendiglich verfaulen, statt Nahrstoff für Leben zu liefern. Die natürliche Vegetation auf dem Grab selbst vergewaltigt mit Zierrasen, Plastikblumen, Betondecke.

Auf meinem „Friedhof“ kann die Natur wachsen, so wie sie will. Auch sterbende Bäume werden nicht beseitigt, sondern nach Gottes Willen belassen, bis die fallenden Äste und Stämme Humus geworden sind und neuem Leben Basis geben.

So ein Friedhof ist ein Stück Urwald. Ein Stück Natur, das wir zurückgeben.
A piece of territory which man has illegally occupied is given back to nature.

3.
Ich habe eine Fahne für Neuseeland entworfen. Sende anbei eine Fotokopie des ersten Entwurfes. Habe bereits den Support von mehreren Ministern und von bedeutenden Persönlichkeiten.
Neuseeland sucht sowieso ein neues Symbol. Ich weiß, das wird einen großen, interessanten Kampf abgeben.
Auch diese Fahne ist im Rahmen des „Friedenspaktes mit der Natur“.

4.
Meine Tätigkeit als „Architekturdoktor“ erreicht jetzt in Wien einen ersten Höhepunkt. Am 9. Juli ist Gleichenfeier für das „Hundertwasserhaus“ in der Löwengasse. Nach 5-jährigem Kampf ist es mir gelungen, ein Haus für 50 Familien zu bauen, das total der „Bauhausmentalität“ den Rücken kehrt. Das Fensterrecht der Bewohner ist instituiert zum ersten Mal! Als Vorleistung auf das individuelle Fensterrecht sind alle Fenster verschieden groß und an verschiedenen Stellen angebracht. Nicht wie Soldaten genau über und neben einander.
Die Wände sind nicht maschinenglatt, sondern mit der Hand unregelmäßig geformt.
Alle Dächer sind bewaldet und mit Wiese versehen. Es wachsen 3 Baummieter aus 3 Fenstern. Durch von mir entworfenen Zwiebeltürme und Mosaikeinlagen bekommt das Haus einen romantischen Charakter. Jede Wohnung wird verschieden von der anderen und dies ist auch an der Außenmauer erkennbar.

Die Skyline ist nicht geometrisch gerade. Es gibt einen großen Saal als Wintergarten, eine Fußgeherzone und vieles mehr. Das Haus ist auch ein Teil des Friedenspaktes mit der Natur: ein „natur- und menschengerechtes Haus“.
Sende eine Aussendung der Gemeinde Wien.

5.
Meine Tätigkeit als Vorsteher einer Meisterschule an der Akademie der bildenden Künste in Wien stellt sich als ganz großer Erfolg heraus.

Bereits jetzt ist sie die beste Schule an der Akademie. Es kommen ganze Delegationen, Schulklassen, Besucher von überall her, um sie zu besuchen.

Es gab anfangs Skandale, weil ich eine Schule übernehmen mußte und unfähige Schüler hinauswarf, solche, die die Akademie als Obdachlosenasyl für schöpferisch Unfähige betrachteten und nur wegen Studienbeiträgen dort herumlungerten.

Auch weil ich die Schule in einen Wald verwandelte.

Man stelle sich vor: Der Vorsteher der „Meisterklasse Hundertwasser“ ist fast ständig abwesend und übergibt die Lehrtätigkeit den Bäumen und Pflanzen, die er aus dem Palmenhaus in der Schule aufstellen ließ. Meine Abwesenheit erzeugt meine Anwesenheit!

Und die Rechnung, so absurd sie klingt, geht auf. Sieben hervorragende Meister haben sich durch sich selbst in dieser schöpfungsgetränkten Atmosphäre gebildet, wo auch die sauerstoffangereicherte Luft um ein Vielfaches besser ist als in den anderen Malschulen:

Karin Köppl                     Märchenwelt
Markus Schiller                 ein junger Phantast
Christian Rausch               ein neuer Schiele, jedoch ganz anders
Bruno Richard                  ein echter Naiver, ein Franzose
Anna Stangl                      beseelte Landschaften
Martina Hanadou              erzählende Malerei, wie eine Hieroglyphenschrift
Maria Trummer                 eine ganz junge Realistin

Keiner und keine davon imitiert Hundertwasser oder irgend jemanden anderen!
Ein unglaublicher Sieg durch eine gänzlich neuartige Lehrmethode.
Schicke später Reproduktionen in einem Kalender vereinigt!

Außer den riesigen Bäumen stehen noch 2 Pflanzenwasserkläranlagen in meiner Schule. Es sind Wasserpflanzen, die in Kaskaden übereinander Schmutzwasser reinigen und beim Hindurchlaufen plätschert das Wasser wie ein leiser Bach. Es entsteht eine halbe Stunde „Bachmusik“.

Ferner habe ich innerhalb meiner Lehrtätigkeit einen Lehrauftrag etabliert, namens: „Natur -Kunst - Schöpfung“, wo bedeutende Wissenschaftler, Nobelpreisträger zum Thema der Wiedervereinigung Natur - Kunst Stellung nehmen.


Lieber Freund Aberbach,

Sie sehen, warum ich eigentlich zufrieden und stolz mit mir selbst sein kann.
Es freut mich immer, wenn das, was man mir als „Publicity-Tätigkeit“ auslegt, sich im späteren als sehr, sehr ernste, ja zukunftsnotwendige Pioniertaten erweisen und es mir gelingt, immer neue Taten zu setzen, die unweigerlich zuerst immer als unlautere, ja sogar profitorientierte Machenschaften gebrandmarkt werden.


Lieber Freund Aberbach,

ich freue mich Ihnen, eigentlich als einzigen Menschen, diesen Überblick über meine letzten Tätigkeiten ausführlich zu berichten.

Es freut mich, dass wir Freunde geblieben sind über so viele Jahre hinweg.

Bitte nicht vergessen, mir eine genaue Liste der Bilder zu schicken, die aus der Sammlung Aberbach in andere Sammlungen übergingen, mit genauen Angaben der neuen Besitzer und der Adressen.
Sie wissen, wie sehr ich seelisch mit meinen Werken verbunden bin, die ich als meine Kinder betrachte. Auch war dies eine Bedingung, als ich die Bilder hergab. Bitte, im Interesse unserer langen und zukünftigen Freundschaft!

Sind Bilder von mir beim Brand im Haus Ihres Bruders in Paris beschädigt oder vernichtet worden?

Es ist Abend geworden im Kaurinui-Tal.
Die neuen Fahnen wehen von 3 Fahnenstangen.

Herzlich Ihr
Hundertwasser

Mit Gruß an Ihre Frau und Ihre Kinder.

*) Es braucht viel an Ernsthaftigkeit, um die Ironie aus so einem Unterfangen herauszuhalten,  und viel Sinn für Moral um es zu würdigen. Aber diese Ernsthaftigkeit wird ihm als Verrücktheit angekreidet, diese Verrücktheit für Berechnung, die Berechnung für Vorsätzlichkeit. Es gereicht ihm alles zur Ehre…

 

Geschrieben in Kaurinui Valley am 23. Juni 1984.

Publiziert in:

Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser – Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben. München 2004, S. 66-70