ICH LIEBE SCHIELE

Friedensreich Hundertwasser

Ich liebe Schiele, Picasso und Klee und ihresgleichen und Giotto, die Alten und ihresgleichen. Doch dazwischen und sonst ist gähnende Leere. Das Einfache ist weit noch.

Ich träume oft wie Schiele, mein Vater, von Blumen, die rot sind, und Vögeln und fliegenden Fischen und Gärten in Samt und Smaragdgrün und Menschen, die weinend in Rotgelb und Meerblau gehen.


Doch ich bin ausgeschlossen vom Paradies.


Warum man die Kinder nicht malen läßt am Trottoir ihre Figuren und an den Wänden und Mauern der Straßen ihre Linien zeichnen? 

Ich schwöre, laßt sie zeichnen ihre Linien echten dicken Goldes.


En voila une methode de devenir riche par les traits des enfants.


Nichts kann euch retten, nicht Christentum, nicht Kommunismus, nicht Bürgerlichkeit; laßt die Kinder sprechen und die Maler und Architekten, laßt die reden, die von einer neuen Religion wissen, laßt die handeln, die ihr verlacht, nicht bemerkt und die euch doch Gutes wollen.

Wir sind alleine
Wir müssen Menschen stützen
Wir müssen Häuser bauen
Uns stützt niemand

Der europäische Mensch beginnt sofort, nachdem er geboren ist, zu sterben und ist mit ungefähr zehn Jahren bereits tot.


Ich will warten, bis mein Schmerz sich in Ewigkeit wandelt. Semaine turbulente. Wie lange? Werde ich die Kraft haben zu warten? Alleine werde ich sein heute, morgen, übermorgen auch?


Je suis passé à l'autre côté de la Seine de Trocadero jusqu'à la Ponte des Arts. A l'autre côté les Têtes etaient petites.


Schön klingt auf Französisch, was gemein auf Deutsch: de loin on ne pouvait plus voir les Sexes. Faut il vraiement que je meurs? Ce que j'écris ne me détende pas. Il existent des millions d'hommes qui ne trouvent plus la pitié. Comment font ils? Ils ne se suicident pas tous.


Für mich ist keine Insel gebaut, weder hier noch jenseits. Was ich auch tun werde, wird Fäulnis sein.


Nur die Linien, von Kindern gezeichnet, liebe ich, doch traurig. Denn ich bin dessen nicht wert. Ich bin wissend, schuldig oder unschuldig-gleich, ich kann nicht unwissend werden.

 

Fès. Es ist eine schöne Stadt, die mich bezaubert hat, ein Mosaik von Schachteln in Grau und mit Moscheen mit grünen Steinen, und die Erde hat viele Farben.

Mein Leben wird ohne Liebe sein, hat mir gesagt M.


Und doch bin ich glücklich momentan und ich werde es immer sein.


Ich werde die Farbe so reich hinsetzen, wie die Häuser hier zusammenstehen in Grau und Grün.


Und ich fühle es kommen in mir; es hat mich nicht betrogen.


Man soll mich nicht töten.


Schiele sollte noch leben, ich würde ihm von meiner Reise Wunderbares berichten.


Es ist vielleicht besser so, daß ich ihm nichts sagen kann, denn so muß ich es allen sagen und geben.


Man soll mich nicht töten vorher.

 

Eine Malerei von dir ist nur dann gut, wenn sie mehr sagen kann als die Zeichnungen der Kinder, gleich schön ist wie die Formen der gepflügten Felder und wie die Menschen und Mädchen, die dir entgegengehen und fast so schön wie die Blätter der Bäume und Gräser, wie die Blumen.

 

Faisant les peintures nées de la douleur
Je me comprends moins que les autres me comprennent encore
Les paysages que je parcours et parcourerai
Je ne les connais pas d'avance
Mais je deviens de plus en plus riche

 

Aus den Tagebüchern 1950/1951.

Publiziert in:

Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser – Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben.
Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv): München 1983, S. 58-59 und Ausgabe 2004 (Langen Müller Verlag, München), S. 47-49

Katalog zur Ausstellung Hundertwasser – Kunst – Mensch – Natur. Minoritenkloster, Tulln 2004, S. 25-26

Hirsch, Andreas (Hg.): Hundertwasser – Die Kunst des grünen Weges, Ausstellungskatalog KunstHausWien. Prestel Verlag: München 2011, S. 34 (Auszug)

Wipplinger, Hans-Peter (Hg.): Hundertwasser - Schiele. Imagine Tomorrow, Ausstellungskatalog Leopold Museum. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König 2020, S. 144-145