HUNDERTWASSER ÜBER HUNDERTWASSER

Friedensreich Hundertwasser

Was braucht ein Mensch, um glücklich zu sein

Fortschritt ist Rückschritt, und der Rückschritt wird zum
Fortschritt

Meine Malerei ist, glaube ich, deshalb völlig anders, weil es
eine vegetative Malerei ist

Ein Grund, warum die anderen Leute nicht vegetativ malen
wollen oder eine vegetative Lebenshaltung einschlagen
wollen, ist, weil sie zu unscheinbar beginnt, weil sie keinen
Eclat hat und keinen Paukenschlag, sondern weil sie ganz
langsam und unscheinbar eben wächst, und das entspricht
nicht unserer Gesellschaftsordnung, man will sofortige
Leistung, die auf Raubbau beruht

Ich möchte, das mache ich auch ganz instinktiv, vorleben,
den Menschen vorleben, vormalen ein Paradies, das jeder haben
kann, er braucht nur zuzugreifen

Das Paradies ist ja da, wir machen es nur kaputt

Ich will zeigen, wie einfach es im Grunde ist, das Paradies
auf Erden zu haben

Und alles das, was die Religionen und die Dogmen und die ver-
schiedenen politischen Richtungen versprechen, das ist
alles Nonsens

Und da komme ich natürlich in Konflikt mit der Gesellschaft,
die das völlig mißversteht

Die glauben, daß das eine Exzentrik ist, nur um Publicity
zu machen, dabei vergessen sie, daß das ein Teil meiner
selbst ist, daß das meine natürliche Ausdrucksform ist

Warum darf ein Mensch, so wie eine Blume, nicht das tun,
was ihm entspricht

Das Bunte, das Vielfältige, das Mannigfaltige ist auf alle
Fälle besser als das Graue, das Durchschnittsgrau

Nur wer schöpferisch denkt und lebt, wird überleben im
Diesseits und im Jenseits

Man muß leben, als wäre man im Krieg, wo alles rationiert ist

Der Mensch muß vorsichtig sein

Muß selbständig denken, muß haushalten

Darf nicht blind verschwenden

Der Mensch muß achten, daß der Kreislauf funktioniert

Der Kreislauf vom Essen zur Scheiße funktioniert natürlich

Aber der Kreislauf von der Scheiße zum Essen ist unterbrochen

Das Glücklichsein hängt von Reichtum überhaupt nicht ab

Hängt von der Produktion nicht ab

Das ist schwer zu sagen

Die Bilder sind für mich Tore, die es mir ermöglichen, wo es mir
gelungen ist, sie aufzustoßen in eine Welt, die uns gleichzeitig
sehr nah und sehr fern ist, wo wir keinen Zutritt haben, in der
wir uns befinden, aber die wir nicht wahrnehmen können, die
gegen die tatsächliche Welt ist

Unsere Parallelwelt, von der wir uns einerseits entfernen

Ja, und das ist das Paradies, das ist das, worin wir sind, worin
wir verhaftet sind und was uns irgendeine unerklärliche
Macht versagt

Da ist es mir gelungen, Fenster dazu aufzustoßen

Wie es mir gelungen ist, ist auch schwierig zu erklären

Auf gar keinen Fall mit Gewalt, auch nicht mit Überlegung,
auch nicht mit Intelligenz, auch nicht unbedingt mit Intuition,
sondern fast wie traumwandlerisch

Die Arbeit des Künstlers ist eben sehr schwierig, weil sie mit
Gewalt, mit Fleiß und mit Intelligenz nicht getan werden kann

Ich meine, mit Kraft und Fleiß und Intelligenz kann man
sonst im Leben alles tun, doch mit diesen Dingen bleibt
einem das Resultat in der Kunst total versperrt

Also auch mit Güte, auch ein guter Mensch sieht sich
plötzlich vor einer Barriere, also er kann nicht weiter

Es ist etwas sehr Seltsames, nicht wahr, wenn ein Mensch
alles mitbringt, was er hat, Fleiß, Güte, Ausdauer,
Intelligenz, alles, was der Mensch eben bekommen kann,
und trotzdem kann er nicht heran

Woran liegt es

Ich glaube, und ich bin absolut sicher, deswegen glaube ich,
daß Malerei eine religiöse Beschäftigung ist,
daß dann der tatsächliche Impuls von außen kommt, von
irgendetwas anderem, was wir nicht kennen, eine undefinier-
bare Macht, die kommt oder nicht kommt und die einem
die Hand führt

Man hat früher gesagt, es wäre die Muse zum Beispiel; es ist
ein blödes Wort natürlich, aber es ist irgendeine Erleuchtung

Und das einzige, was man tun kann, ist das Terrain vorzu-
bereiten, daß diese außerirdischen, oder wie man sie sonst
nennen kann, Impulse einen erreichen können

Das heißt, sich bereithalten

Das heißt, den Willen ausschalten, die Intelligenz
ausschalten, das „Besser-machen-Wollen“ ausschalten, die
Strebsucht ausschalten

Ich möchte vielleicht bezeichnet werden als Magier der
Vegetation oder so etwas Ähnliches, also Magie, daß ich
eben ein Bild anfülle, bis es voll ist mit Magie, wie wenn
man ein Glas anfüllt mit Wasser

Alles ist so unendlich einfach, so unendlich schön

 

Verfasst in Venedig, 1975

Publiziert in:

Kataloge zur Welt-Wanderausstellung 1975–1987: Französische Ausgabe: Paris, Luxemburg, Marseille, Kairo, 1975; Kopenhagen, Dakar, 1976; Montreal, Brüssel, 1978. Englische Ausgabe: Tel Aviv, Reykjavik, 1976; Cape Town, Pretoria, Rio de Janeiro, São Paulo, Brasilia, Caracas, 1977; Mexiko City, Toronto, 1978; Rom, Høvikodden, 1980; Helsinki, 1981; London, 1983. Deutsche Ausgabe: Warschau, 1976; Pfäffikon (Schweiz), 1979; Köln, 1980; Wien, Graz, 1981.

Österreicher, die der Welt gehören. hrsg. von Mobil Oil Austria AG, Wien. Wien: Brüder Rosenbaum Verlag, 1979, S. 99.

Schurian, Walter (Hg.): Hundertwasser – Schöne Wege, Gedanken über Kunst und Leben. München: Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv), 1983, S. 25-27 und Ausgabe 2004 (München, Langen Müller Verlag), S. 20-21.

Hundertwasser Graphic Works 1994–2000. The Exhibition of Hundertwasser’s Last Graphic Works. Wien: Museums Betriebs Gesellschaft, 2001, S. 61-65 (Deutsch und Englisch).

A. C. Fürst, Hundertwasser 1928-2000, Catalogue Raisonné, Köln, 2002, Vol. II, S. 21-24 (Deutsch und Englisch).

KunstHaus Abensberg, Abensberg, 2014, S. 46-48