Hundertwasser und der Gobelin

Riedl Fritz

Vielleicht ist es ein Sakrileg zu sagen, dass manche Hundertwasser-Bilder gemalte Weberei sind – aber dass Hundertwasser viel mit diesem Ur-Handwerk des homo ludens, das sicher vor der Bild-Malerei entstand, zu tun hat, steht für mich ausser Frage. Viele Strukturen, die Auffassung der Linie, das Stofflich-sinnliche vieler Farbflächen lassen an Weberei denken. Das Handwerkliche, sogar seine Arbeitsweise, zumindest zu der Zeit, als ich einmal zusah. Dass Hundertwasser eine starke Beziehung zur Weberei hat, beweist, dass er sich gleich zu Beginn an einen Webstuhl setzte und aus dem Bauch heraus, wenn auch anlässlich einer Wette, seinen Gobelin webte. Er kommt von weit her, das war immer der Eindruck, den ich von Hundertwasser hatte. Wenn ich an ihn denke, sehe ich noch immer das Bild vor mir: Im hellen Eckzimmer der sonst dunklen Donaukanal-Wohnung in seinem von Marokko mitgebrachten Duellabah vor dem Webstuhl sitzend, sehr schmal, sehr ernst, jung und uralt zugleich. Man musste nichts erklären, er konnte einfach weben. Es waren die heute in der Erinnerung verklärten 50er-Jahre, wir gingen alle neben den Schuhen und in den Fenstern und auf einem alten Wehrmachtspind türmten sich geballte Papierkugeln, denn der Winter stand bevor und er wollte sie als Briketts verheizen. Wenn man ihn fragte, was der Gobelin darstellen sollte, schwieg er geheimnisvoll, zwei Füsse waren zu erkennen und viele Fenster, die Beine wuchsen und wuchsen – der gelbe Strahl war erst ganz spät zu erkennen. Von diesen Knaben in der Stadt ging eigentlich alles aus – ein Wunderteppich, der sich in die Lüfte erhob.

Als mich nach 20 Jahren jemand in Mexiko fragte, welchen berühmten europäischen Maler man weben könnte, um die neue Werkstätte auch international bekannt zu machen, war die Antwort: Ungeschauter nur Hundertwasser – allerdings weiss ich nicht, ob er noch will – denn es erschien mir unwahrscheinlich, dass nicht schon hunderte der schönsten Gobelins von ihm existierten. Er wollte noch, und so begann das Experiment mit den mexikanischen Webern, jungen Mestizen, die noch viel in ihren Händen haben, was anderwärts schon verloren ging. Die mexikanische Volkskunst kennt ein Gewebe, ähnlich dem europäischen Kelim, den Sarape, der an vielen Orten erzeugt wird. Am Anfang gab es Schwierigkeiten mit einigen Formelementen, die Spirale dagegen war den Webern sehr vertraut, ebenso die Farben – im grossen und ganzen ist Mexiko sehr hundertwasserisch – auch sie kommen von weit her.
Die Kulturkreise berühren sich dort, wo die Wurzeln ineinanderfliessen, in den wirklichen Beschäftigungen, wie weben eine ist. Hier wird noch gemacht und nicht produziert und es ist sehr hart für einen Weber, einen Gobelin zweimal machen zu müssen. Hier kann es noch passieren, dass sich ein Weber plötzlich weigert, weiterzuarbeiten, weil ihm gewisse Formen in der Vorlage Angst machen. Das Magische ist noch ein Teil des Lebens und die farbige Wolle gehört durchaus in diesen Bereich.
Die Unterordnung unter den Obermagier Hundertwasser ist natürlich und selbstverständlich. Die Weber haben jetzt – nach 6jähriger Lehrzeit – die Freiheit zu interpretieren. Wir haben auch den Karton aufgegeben und benutzen ein einfaches Rastersystem, das sich der Weber auf die Kette zeichnet und in das er die Formen einträgt. Er ist für seine Interpretation voll verantwortlich und muss sich nach Beendigung des Gobelins die Kritik der versammelten Mannschaft gefallen lassen. Es sollen lebendige Gewebe entstehen, keine übersetzten Hundertwasser-Bilder. Die mexikanischen Weber sollen heute das fortsetzen, was der Maler selbst 1950 begonnen hat:
Das gewebte Oeuvre Hundertwassers.

 

Publiziert in:

Kat. der Ausstellung Hundertwasser Gobelins, Galerie Brockstedt, Hamburg, 1977