DIE FREIE NATUR
Die freie Natur bewahrt auch unsere Freiheit.
Je mehr wir uns von der Natur entfernen, umso unfreier werden wir.
Wir sind eine todkranke Gesellschaft, momentan noch lange Lebenserwartung und aufgeblähter inhaltsleerer Lebensstandard können nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir todkrank sind und künstlich am Leben erhalten werden.
Man stelle sich einen Todkranken vor im Spital.
Blutplasmaschläuche in Nase und Venen, künstliche Beatmung mit Sauerstoff,
Röhrenentsorgung für Urin und Exkremente mit Schläuchen ins After.
Genau dasselbe geschieht mit uns.
Wir müssen uns nur dessen bewußt werden, daß wir an ein diktatorisches, monopolistisches Verteilersystem angeschlossen sind, das uns in Unfreiheit und Abhängigkeit hält, in der ärgsten Versklavung des Menschein seit seinem Bestehen.
Wir sind nur mehr ein Organismus, der künstlich am Leben erhalten wird mit Zu- und Abschläuchen, Zu- und Ableitungen.
Wir sind angeschlossen an
1. Gasleitungen
2. Fernsehkabel und Radio
3. Fernheizrohre und Zentralheizsysteme
4. Müllabfuhrsystem, weil wir sonst in unserem Dreck ersticken,
5. Kanalisationsrohre für unsere menschlichen Abfälle
6. Wasserleitungen
7. Telefonkabel
8. Elektrizitätsleitungen, die uns mit zusätzlicher Energie versorgen,
außerdem an Tankstellen, usw.
Wir müssen den Mut haben, uns langsam von diesen Schläuchen, von dieser Abhängigkeit, von dieser Art Intensivstation zu befreien.
Wir müssen den Mut haben, selbständig zu leben.
Unser Problem ist keine Energieknappheit und kein zusätzlicher Energiebedarf.
Unser Problem ist eine maßlose Energieverschwendung.
Haben die Vögel, die Bäume, die Käfer, hat die Natur ein Energieproblem?
Nein, nur der Mensch bildet sich ein, mehr und mehr Energie zu benötigen, weil er wahnsinnig geworden ist und nicht mehr weiß, was er tut.
Wir müssen selbst erkennen, dass wir selbst der gefährlichste Schädling sind, der je die Erde verwüstet und vergiftet hat. Wir müssen uns selbst in die ökologischen Schranken verweisen, damit sich die Erde erholen kann.
Der Mensch ist ein dummes Herdentier geblieben, das plötzlich irrsinnige Mengen von Energien, von Giften, Gegengiften und anderen Mordmitteln zur Verfügung hat, die es wild verpulvert oder rücksichtslos zur Vernichtung der Umwelt und der eigenen Brüder einsetzt.
Und gierig verlangt dieser Mensch, dieses dumme Herdentier, nach noch mehr Energie, noch mehr Giften und noch mehr Mordmitteln.
Einen Baum schneidet man in 5 Minuten um.
Zum Wachsen braucht er 50 Jahre.
Das ist die Relation zwischen technokratischer Zerstörung und ökologischem Wiederaufbau.
Ich erkläre hiermit feierlich, daß ich, Hundertwasser, die Patenschaft über alle Bäume übernehme, die im Herzen der Hainburger Au widerrechtlich von den Baggermaschinen der Donaukraftwerkgesellschaft niedergewalzt werden sollen.
Falls dieses Unfaßbare geschehen sollte, wird diese Patenschaft zur Trauerschleife.
In der Aulandschaft hat der Mensch und sein Wahnsinn nichts zu suchen.
Jeder Baum ist ein heiliger Baum.
Es ist unser aller Pflicht, ganz gleich, ob wir einfache Bürger, Künstler oder Minister sind, diese nicht wieder gutzumachende Vernichtung von freien Bäumen der Spontanvegetation der Hainburger Au mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern.
So wahr uns Gott helfe.
Rede anlässlich der Pressekonferenz „Aktion Baumpatenschaft“ im Bundesministerium für Gesundheit, Wien, mit Dr. Steyrer, 1984