VERWALDUNG DER STÄDTE

Friedensreich Hundertwasser

Die Erde war einmal eine Wüste voll mit Gas und Schleimnis. Dann hat sich langsam eine Vegetationsschicht gebildet mit Wäldern, Flüssen und Wiesen. Dann kam der Mensch und hat angefangen sich darin auszudehnen und Raubbau zu betreiben. Dazu noch erschwerend holt er in den letzten 50 Jahren das Gas und die Schleimnis, die die Vegetation in Millionen Jahren unter sich gebracht hat, wieder von unten heraus, so daß es sich wieder obenauf befindet. Dadurch entsteht wieder ein Zustand der Hölle, wie es vorher war und in dem der Mensch sich selbst umbringt.

Daher ist es Pflicht jedes einzelnen Menschen, der Vegetationsschicht wieder mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu ihrem Recht zu verhelfen. Es herrscht Kriegszustand. Die Dächer müssen grüne Wälder werden, ebenso wie auch die Straßen. Der Verkehr kann sehr gut in Arkaden abgewickelt werden.

DIE WAAGRECHTE GEHÖRT DER NATUR, DIE SENKRECHTE DEM MENSCHEN. Also, alles was waagrecht unter freiem Himmel ist, gehört der Vegetation, nur das, was senkrecht ist, kann der Mensch für sich beanspruchen. Das bedeutet anders formuliert: FREIE NATUR MUSS ÜBERALL DORT WACHSEN, WO IM WINTER DER SCHNEE HINFÄLLT.

Da man sich aber in einem Notzustand befindet, würde diese Art der Verwaldung der Städte gar nicht ausreichen, um das einmal stark gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen. Man müßte Vegetationsschichten in Stockwerken anlegen. Denn der fehlende Sauerstoff kann nur durch Vegetation erzeugt werden und nicht durch chemische Manipulation. Das ist ein langsamer, verantwortungsvoller Prozeß, der sehr lange dauert. Man braucht wahrscheinlich 1000 Jahre um den Schaden zu beheben, den man in den letzten 10 Jahren angerichtet hat.

Da es aber keinen anderen Ausweg gibt, muß man sofort damit beginnen: Erfindung einer handbetriebenen Müllverarbeitungs-Maschine, die den Mist zu Komposterde macht, mit der man an Ort und Stelle die Dachvegetation bereichern kann, Verwendung der menschlichen Exkremente an Ort und Stelle, ohne sie durch ein Gift erzeugendes Kanalsystem genau so weit wegzuschaffen, wie man die Lebensmittel herzuschaffen hat, die der Mensch benötigt.

Jede Familie muß Anrecht auf mindestens 100 m3 Vegetationsgrund, beziehungsweise 100 oder mehr m² Erde haben, die ihren Mist und ihre Exkremente aufnehmen kann, und wovon sie auch leben könnte. Das Verhältnis und die Details müßten von Technikern, Erfindern, Botanikern, Vegetationsfachleuten usw. ausgearbeitet werden. Daß der Mensch 100 oder mehr m3 hat, ist durchaus möglich in terrassenartig gebauten Gemeindebauten, wo jeder Großgarten zum Dach des darunter liegenden Bewohners wird.

Die ebene Erde muß voll mit Vegetation bedeckt sein und zwar die Straßen von Hauswand zu Hauswand. Die Gehsteige und der Verkehr können sehr gut in lichten Arkaden untergebracht sein.

Der Staat muß ein Gesetz herausbringen, daß kein Haus mehr gebaut werden darf, ohne eine 1 m dicke Erdeschicht über die ganze Fläche des Daches und über die ganze Fläche des ebenen Erdbodens, auf dem das Haus steht. Also es muß ein Gesetz herausgebracht werden, und wenn es jetzt nicht sofort herausgebracht wird, so wird es sicher später herausgebracht werden, ob der Staat will oder nicht, daß jede Vegetation von der Vogelperspektive aus nur grüne Wald- und Wiesenflächen erkennen läßt und kein Stückchen Straße, Asphalt oder nacktes Dach. Das betrifft genauso die Tankstellen wie auch die Kirchen, wie auch die Bahngebäude, wie auch die Amtsgebäude und insbesondere die Fabriksgelände.

Bei Schaffung von Fabriksgeländen darf eine Fabrik überhaupt nur dann existieren, wenn die Dächer und Zufahrtswege und die ganze Umgebung der Fabriken viel grüner ist, als es der Wiener Wald normalerweise ist. Eine Fabrik darf nur dann ihre Ausübungserlaubnis erhalten, wenn die Schornsteine dreimal so viel reinen Sauerstoff ausstoßen wie verbrauchte Luft, von Giftstoffen überhaupt nicht zu reden. Falls eine Fabrik Giftstoffe ausstößt, muß sie sofort geschlossen werden.

Das Verhältnis Mensch - Baum muß religiöse Ausmaße annehmen und die Christus- und sonstige Gottverehrungen ersetzen. Erst wenn eine göttliche Verehrung aller Vegetation Fuß faßt, kann eine schrittweise Verbesserung der Umwelt vom Inneren der Menschen aus beginnen. Dann wird man auch den Satz besser verstehen:

DIE GERADE LINIE IST GOTTLOS.

 

Verfasst in Venedig, La Giudecca, im März 1971.

Publiziert in:

Protokolle, Zeitschrift für Literatur und Kunst, Heft 2, Wien 1971, S. 83-86

Hundertwasser. Parkstone Press International: New York 2008, S. 187-189