Linienziehung im Centre Pompidou Metz

27. Januar 2022
...zuerst in Hamburg, dann in Bremen, Wien und jetzt in Metz im Centre Pompidou.
Hundertwassers frühe Aktion „Die Linie von Hamburg“ erfährt eine Wiederaufführung mit Bazon Brock vom 31.1. bis 3.2. Die Ausstellung, in deren Rahmen das Reenactment stattfindet, "L'art d'apprendre. Une école des créateurs", wird am 4.2. eröffnet.
1959 zog Hundertwasser als Gastdozent an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg die „Endlose Linie“ mit Bazon Brock und Schuldt sowie Studierenden. 
In Metz sind die AbsolventInnen der l’ecole Superieure d’Art de Lorraine mit Bazon Brock aktiv. 

https://www.centrepompidou-metz.fr/de/willkommen
1959 war die Aktion ein Skandal und Hundertwasser legte seine Dozentur zurück.
In einem Gespräch mit dem Kunstkritiker Pierre Restany 1975 berichtete er:
Eines Tages kamen zwei Poeten an die Akademie, Herbert Schuldt und Bazon Brock. Sie zeigten sich sehr enttäuscht darüber, daß »der große Hundertwasser hier als normaler Professor tätig war«. Sie dachten, dies sei beschämend. »Wir sollten eine Linie ziehen, eine große Linie, die die Wände umkreist, die niemals aufhört, weder Tag noch Nacht, so wie die olympischen Läufer oder wie die Ralleyfahrer.
[…]
Bazon Brock, 1959
Reenactment im Leopold Museum Wien, 2020
Ich wollte eine Spirallinie ziehen, die horizontal die Wände emporkletterte, so wie die Sedimentschichten im Felsengestein.
Zum angegebenen Zeitpunkt begann ich eine Linie rund um den Raum gegen den Uhrzeigersinn, etwa einen Zentimeter vom Fußboden entfernt, zu ziehen. Als ich wieder an diesem Punkt angelangt war, fuhr ich etwa einen Zentimeter höher, unregelmäßig parallel zur bereits gezogenen Linie, fort zu zeichnen, und so wuchs die Spirale. Ich ging dabei über alle Hindernisse hinweg, über Türen, Fenster, Heizkörper und anderes.
[…]
Die Linie zog ich zuerst schwarz, später rot, zuerst mit dunklen Stiften, dann mit Farbe und Pinsel. Als ich müde wurde, übergab ich den Pinsel an Bazon Brock, der meinen Platz einnahm, wie beim Stafettenlauf.
[…]
Der Rektor der Hochschule, der sich in Rom befand, erfuhr aus den Zeitungen, was sich abspielte, und nahm das nächste Flugzeug nach Hamburg.
[…]
Wir wechselten einander ab. Einer zog die Linie, einer schlief auf einem Sofa und der dritte machte Besorgungen, holte Essen und Trinken und Kerzen und sprach mit der Presse. Wir arbeiteten bis zum Morgengrauen. Es war wie auf einem Schiff auf hoher, schwerer See. Jeder hielt abwechselnd Wache. Die Linie war rot und wuchs an wie das Rote Meer, das rote Spiralmeer. Und dann kam der zweite Tag. Die Zeitungen berichteten ausführlich. Der Skandal war perfekt.
[…]

Pierre Restany erklärt: „Die Aktion ist eine Kritik am Unterricht, an der Bildung, den Verhältnissen in der Kunstwelt und an der Architektur, aber auch eine radikale und überschäumende Bejahung des unveräußerlichen Rechts auf absolute Freiheit des poetischen Ausdrucks.“